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Das Geheimnis Des Amuletts

Das Geheimnis Des Amuletts

Titel: Das Geheimnis Des Amuletts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gillian Shields
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schweben, um sie zu treffen, mich lautlos zu ihnen hin bewegen. Die Gesichter der Frauen wurden deutlicher – sie sahen im Mondlicht wie geschnitzte Statuen aus, und ich wusste, dass jede einzelne von ihnen große Macht hatte, aber dass sie andere Entscheidungen gefällt hatten. Ich sah das stolze Antlitz meiner Mutter und Agnes’ feine Schönheit, ich sah, wie Velvet mich anlachte und eine vierte Frau ihren Schal abnahm, um sich zu zeigen. Mein Herz machte einen Sprung, und Stimmen sangen in meinem Kopf: Es war Miss Scratton.
    »Sagt mir, was ich tun soll!«, versuchte ich zu sagen, aber ich konnte nicht sprechen, und meine wahren Gedanken hallten in meinem Kopf wider. Ich habe gelogen, was Sie und das Auge der Zeit betrifft … es tut mir so leid. Führen Sie mich jetzt … ich brauche Sie.
    Miss Scratton sah mich ernst an, dann verstreute sie einige trockene Blätter über dem See. Die Wasseroberfläche verwandelte sich in einen glänzenden Spiegel. Ich sah gedrungene starke Männer mit grober Kleidung aus Fellen und Häuten, die auf schnellen Ponys über die Hügel ritten – die Kinsfolk. Die Szene rollte vor meinen Augen ab wie ein Film, und ich sah, wie sie beim Steinkreis ankamen. Die Granitblöcke waren roh und neu, und als die Reiter ehrfurchtsvoll auf die Knie sanken, erhob sich die Sonne hinter den Hügeln. Licht … unbeschreibliches Licht überflutete die wilde Landschaft, und in diesem benommen machenden Licht schien eine Gruppe wunderschöner Menschen verborgen zu sein, wie etwas aus einer vergessenen Geschichte. Der Himmel war voller Musik.
    Ich weiß nicht, wie lange ich so dastand. Das Lied, das ich hörte, wurde machtvoller und wilder. Das Gesicht des Fremden – Lynton – kam mir in den Sinn; dann dachte ich an Tom, meinen Wanderer, und ich fühlte Tränen in mir aufsteigen. Lynton war mein wunderschöner Fremder, aber der Wanderer war alles gewesen: mein Freund, meine Inspiration, meine einzige Hoffnung. Es war, als wäre er sehr nahe, als würde er, wenn ich nur das richtige Wort sagte, zu mir zurückkommen, so wie er so viele Male aus dem Nichts zu mir gekommen war. Dann hörte ich eine Stimme sagen: »Du musst dich entscheiden, Helen. Du musst wählen. Es ist an dir.« Und ich wusste, dass die Stimme von mir verlangte, zwischen ihm und Lynton zu entscheiden, zwischen der Vergangenheit und der Zukunft.
    »Es ist an dir, Helen.« Es war Evie, die mich zurückzog, von meinen Träumen weg. »Du entscheidest.«
    »Was entscheide ich?«, fragte ich, für einen Moment ganz benommen.
    »Ob und wann wir zu den Höhlen gehen, um Kundar zu treffen, natürlich.«
    »Ich glaube, wir sollten heute Nacht gehen«, sagte Sarah forsch, als würde sie nichts Bedeutenderes organisieren als ein Picknick im Sommer. »Können wir heute gegen Mitternacht alle aus der Schule kommen?«
    »Nein, nicht um Mitternacht, jetzt!«, sagte ich. »Wir können nicht warten. Agnes hat gesagt, wir sollen sie schnell rufen, und sie hat Recht, wir dürfen keine Minute verstreichen lassen!« Wenn ich jemals den Ort des Lichts und der Schönheit erreichen sollte, den ich gerade gesehen hatte, dann musste ich die Aufgaben absolvieren, die mir bevorstanden, und zwar so schnell wie möglich. Nur dann konnte ich zu meiner Zukunft gelangen. »Wir müssen es jetzt tun!«
    »Was – jetzt? Hier?«, fragte Evie zweifelnd. »Und wie?«
    Aber Miss Scratton hatte mir ein Zeichen gegeben. »Das Wasser des Sees«, versuchte ich zu erklären. »Wir können es als Spiegel benutzen – als ein Fenster zu den Kinsfolk. Evie, wir brauchen deine Kräfte des Wassers.«
    Ich ging voran, verließ die Terrasse und eilte hinunter zu dem verlassenen See. Es waren keinerlei Hinweise auf die Frauen mehr zu sehen, nirgendwo irgendwelche schemenhafte Gestalten zu erahnen. Die Ruine der Kapelle lag im Nebel wie ein Geisterschiff, das über ein endloses Meer glitt. Das Wasser des Sees war ruhig, aber hohes Gras und Schilf schwankten sanft im Abendwind und erzeugten ein leises Rascheln und Flüstern. »Evie, bitte das Wasser, unsere Freunde zu enthüllen«, sagte ich.
    Evie kniete sich am Ufer auf den moosbewachsenen Boden und streckte ihre Hände in Richtung Wasser aus. »Wasser des Lebens, erwache. Fließe durch unseren Geist und zeige uns Botschaften und Erinnerungen in deinem endlosen Strom … Wasser des Lebens, höre uns. Wir dürsten nach Wahrheit … zeige uns deine Kräfte.«
    Die Wolken teilten sich, und die Spiegelung des Mondes tauchte wie ein

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