Das Geheimnis Des Amuletts
nennen!«
Velvet murmelte eine Entschuldigung und nahm eine Bürste, um halbherzig damit zu beginnen, die dunklen Flanken ihres Pferdes zu striegeln.
»Ich habe es nicht so gemeint. Ich möchte nur einfach so gern zu euch gehören.«
»Vielleicht möchtest du es zu sehr. Vielleicht war es das, was Agnes gesehen hat.«
»Wie auch immer.« Aber es war, als würde Angst in ihrem Gesicht aufblitzen, als sie den Namen Agnes hörte. Dann brachte sie ihr strahlendstes Lächeln zustande. »Na ja, ich vermute, dass ich immer noch meinen ursprünglichen Plan habe, auf den ich mich zurückziehen kann.«
»Und was wäre das für einer?«, fragte ich alarmiert.
»Oh, wir kehren zu dem zurück, was wir vorher hatten. Wir sind keine Freunde, sondern Feinde. Und ich gebe mir alle Mühe, genug Ärger zu machen, um von der Schule zu fliegen. Ich könnte die Schule in Brand stecken. Das müsste eigentlich genügen.«
»Mach dich nicht lächerlich, Velvet.« Ich seufzte. »Und sei vorsichtig. Dr. Franzen wird sich deinen Unsinn nicht gefallen lassen.«
»Glaubst du, ich habe Angst vor ihm? Ich habe vor gar nichts Angst.«
»Abgesehen von dem, was Agnes dir gesagt hat.«
Sie versuchte, ihre Angst mit Spott zu überdecken. »Agnes! Ui, Agnes!« Sie lachte. »Ihr seid alle so voller Ehrfurcht vor ihr. Das ist einfach erbärmlich! Und sie ist noch nicht mal am Leben! Sie ist tot – sie ist vermutlich nur irgendeine kollektive Halluzination, die ihr euch ausgedacht habt und in die ihr mich mit reinziehen wollt. Wieso lasst ihr euch alle von der Erinnerung an irgendeine zimperliche viktorianische Langweilerin beherrschen, die Evies Urgroßmutter oder sonst was ist? Echt, ich habe eure kindischen Spielchen satt. Wenn ich mich mit der anderen Seite verbinden will, tue ich das auf meine eigene Weise. Es gibt andere Mächte, nicht nur diejenigen, von denen ihr glaubt, dass ihr sie kontrollieren und als große Gunst gegenüber uns anderen gewöhnlichen Sterblichen verteilen könnt.«
»Velvet …«
Sie warf die Bürste, die sie gerade eben noch benutzt hatte, auf den Boden und starrte mich finster an. »Sag Josh, er soll hier weitermachen. Mein Vater bezahlt dafür. Und sag deinen Freundinnen, dass es mich nicht kümmert, wenn ich nie wieder ein Wort mit ihnen wechsle.« Velvet schob sich brüsk an mir vorbei und stolperte aus dem Stall, aber ich war sicher, dass ihre Stimme erstickt geklungen hatte und Tränen in ihren Augen gewesen waren. Sie machte sich etwas daraus, das war das Traurige. Rebellin oder Prüfstein oder was immer sie wirklich war, da war ein Teil in Velvet Romaine, der einfach nur geliebt werden wollte.
Aber während der folgenden Herbsttage versuchte Velvet mit allen Mitteln zu beweisen, dass sie niemanden brauchte, ganz besonders nicht uns drei. Sie mied mich ebenso wie Evie und Helen und hing wieder mit ihrer üblichen Gruppe, bestehend aus Camilla und Annabelle und Julia Symons herum. Sie drängte sie, so herausfordernd und beleidigend zu sein, wie es ihnen unter Dr. Franzens wachsamem Blick möglich war. Velvet kam immer wieder in Schwierigkeiten und erhielt eine Verwarnung nach der anderen. Während Miss Scrattons Zeit als Oberste Mistress hatte dies einfach nur bedeutet, eine Stunde zusätzlich in der Bibliothek lernen zu müssen, und sie hatte die eher aufgeblasene Tradition von Wyldcliffe, rote Verwarnungskarten für irgendein kleines Vergehen auszuteilen, in aller Stille abgeschafft. Dr. Franzen hingegen hatte Spaß daran gehabt, als neuer Schuldirektor den alten Brauch wieder einzuführen, und Velvet schien wild entschlossen zu sein, so viele scharlachrote Verwarnungskarten einzuheimsen wie sie konnte: für Widerrede, weil sie Arbeiten nicht abgab, weil sie zu spät kam, weil sie unkooperativ war, weil sie nicht angemessen gekleidet war … die Liste war endlos.
Velvets Strafen waren ebenfalls endlos, und sie verbrachte viele Stunden allein – oder genauer, arbeitete unter dem wachsamen Blick einer Mistress und manchmal auch unter dem von Dr. Franzen selbst – an überflüssigen, langweiligen Aufgaben. Velvet musste viel Zeit gehabt haben, um über ihr Verhalten nachzudenken, aber es änderte gar nichts. Sie sang bei der Probe für das Gedenkkonzert sogar einen Hit ihres Vaters, obwohl sie wusste, dass er voller Gotteslästerungen und Kraftausdrücke war. Sie handelte sich damit einen Dreistundentadel ein, aber tatsächlich schien sie das nicht zu kümmern. Für Helen war das allerdings anders. Velvets
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