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Das Geheimnis Des Amuletts

Das Geheimnis Des Amuletts

Titel: Das Geheimnis Des Amuletts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gillian Shields
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unbekümmert. »Entschuldigung, Sir «, sprach sie gedehnt und sarkastisch weiter. »Ich wollte sagen, dass ich eine andere Philosophie vertrete, die sich von Ihrer vollkommen unterscheidet. Ich glaube, dass Menschen Individuen sein sollten und nicht Teil einer roboterähnlichen Maschine.«
    »Ich denke, wir haben genug von Ihrer Meinung gehört, Miss Romaine«, sagte Dr. Franzen. »Und ich fürchte, Sie selbst sind ein Beispiel dafür, was passiert, wenn der Individualismus über die Stränge schlägt. Das ist nicht das, was wir auf Wyldcliffe lehren.«
    »Aber das sollten Sie! Individuen haben Begabungen und Vorstellungskraft und Inspiration! Individuen verändern die Welt, nicht Gruppen von gehorsamen Klonen, die anderen wie Schafe folgen. Sie reden immer wieder über Musik – aber was ist mit all den berühmten Komponisten und Künstlern? Waren das etwa keine Individuen, die ihrem eigenen Weg gefolgt sind, um etwas Außergewöhnliches zu erschaffen?« Von den Schülerinnen war ein schwaches zustimmendes Gemurmel zu hören. Zumindest eine sagte, was viele von ihnen insgeheim dachten. Ein paar Mutige begannen, Beifall zu klatschen.
    »Ruhe!«, fauchte Dr. Franzen. »Setzen Sie sich endlich wieder hin!«
    »Ich werde nicht den Mund halten und mich hinsetzen! Wieso halten wir überhaupt diese Gedenkprozession ab? Sie findet zu Ehren von Lady Agnes statt, oder nicht? Sie war weder eine Gipsheilige noch eine bescheidene und sanfte Jungfer! Sie war ein Individuum. Sie war eine Rebellin! Sie hatte ihren eigenen Kopf. Angeblich ist sie sogar weggelaufen und hatte ein Kind …«
    » RUHE !«
    Ich hatte noch nie jemanden so wütend gesehen wie Dr. Franzen. Seine breiten Schultern schienen vor Wut zu zittern, und seine Finger zuckten.
    »Sie werden wieder nachsitzen, Miss Romaine«, zischte er. »Sie werden eine Stunde nachsitzen, um über Ihren Mangel an Manieren nachzudenken.«
    »Nein, das werde ich nicht«, sagte sie trotzig. »Sie können mich nicht dazu zwingen, Sie dummer, grober, aufgeblasener kleiner Mann.«
    Augenblicklich verschwanden alle Anzeichen von Zorn aus Dr. Franzens Haltung. Er wirkte schlagartig kalt und ruhig und gefährlich. Die Schülerinnen schwiegen; sie fürchteten, dass Velvet jetzt zu weit gegangen war. Auch sie selbst wirkte plötzlich weniger selbstsicher, als Dr. Franzen sie langsam musterte. »Oh, das kann ich«, sagte er mit einem eisigen Lächeln. »Und das werde ich. Tatsächlich werden Sie die ganze Nacht nachsitzen, allein und abgeschieden. Ich kann und werde ein derartiges Verhalten nicht tolerieren. Ich bin hier der Schuldirektor, und Sie werden schon bald herausfinden, was das bedeutet. Sie alle«, fügte er hinzu und sah sich gewollt deutlich um, »werden sehen, dass ich meine, was ich sage. Das Ganze ist größer als die Teile. Am Ende werden Sie alle meine Meinung übernehmen.«
    Niemand rührte sich. Niemand sagte etwas. Es war, als hätte er alle Anwesenden mit seiner Willenskraft hypnotisiert. Aber eine der Mistresses stand unsicher auf und sagte leise und hastig: »Dr. Franzen, entschuldigen Sie, ich muss etwas sagen. Ich empfinde diese Bestrafung als zu hart. Wir haben hier eine Fürsorgepflicht … auf diese Weise verfahren wir nicht mit unseren Schülerinnen …«
    »Sie sind jetzt meine Schülerinnen, Miss Hetherington. Sie können sie mir überlassen. Und jetzt werden Sie sich alle leise zu Ihren Schlafsälen begeben. Velvet Romaine, Sie werden hierbleiben, es sei denn, Sie wünschen diese unerfreuliche Szene noch fortzusetzen und Ihren Mitschülerinnen noch weitere Unannehmlichkeiten zuzumuten?« Sie zuckte mit den Schultern und sah zur Seite. »Gut. Dann werde ich Sie persönlich zum Turmzimmer im zweiten Stock führen. Ich hoffe, Sie werden von der Zeit dort profitieren.«
    Das kleine Drama hatte mich so gefangen genommen, dass ich Helens Reaktion gar nicht bemerkt hatte. Aber jetzt sah ich, dass sie vor Anspannung erstarrt und ihr Gesicht vollständig weiß war, als wäre es eine marmorne Maske auf einem Grab. Sie schob sich durch die Reihen der verdrossenen Schülerinnen, die nach und nach den Speisesaal verließen, und ging auf Velvet zu. Ich folgte ihr, so rasch ich konnte.
    »Velvet, du darfst nicht gehen«, sagte sie aufgeregt flüsternd. »Du darfst nicht zulassen, dass er dir weh tut.«
    »Mir weh tun?« Velvet sah sie ungläubig an. »Aber er wird mir natürlich nicht weh tun. Ich musste schon etliche Male nachsitzen. Es kümmert mich einen Dreck, genau wie er

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