Das Geheimnis Des Amuletts
selbst. Ich sitze nur in einem anderen blöden Zimmer. Er wird mich nicht einschließen und den Schlüssel wegwerfen, oder? Wie auch immer, es ist mir egal«, fügte sie mit einem trotzigen Schulterzucken hinzu. »Wenn ich meinen Eltern schreibe und ihnen sage, dass ich die ganze Nacht bei Brot und Wasser in einem Turm eingesperrt war, werden sie mich wegholen müssen. Dad wird ausflippen, wenn er hört, was er für all das Geld kriegt, das er hier ausgibt.« Dann erinnerte sie sich offenbar daran, dass sie gar nicht mit uns befreundet sein wollte, und fauchte: »Wieso zur Hölle kümmert dich das überhaupt?«
»Weil ich diesen Mann hasse«, sagte Helen. Sie sprach ruhig, aber mit brennender Intensität. »Und ich werde nicht zulassen, dass er noch einmal irgendjemandem weh tut.« Sie ging eilig weg und ließ Velvet zurück, deren dunkle Augen vor Verwunderung glühten.
Siebenundzwanzig
Aus dem Tagebuch von Helen Black
30. Oktober
Heute Nacht werden wir in die Höhlen gehen. In diesen letzten Momenten weiß ich kaum, was ich denken oder schreiben soll. Schließlich ist der Moment gekommen. Sarah hat alles vorbereitet. Der Neumond wird unser Freund sein. Ich wünschte – ich weiß nicht, warum – aber ich wünschte, Velvet würde mit uns mitkommen. Ich ertrage es kaum, sie hier allein zu lassen, wo sie von Dr. Franzen bestraft wird, obwohl sie ist, wie sie ist, und trotz all dem, was sie getan hat. Wenn dieser Mann ihr auch nur ein einziges Haar krümmt, werde ich ihn töten.
Nein. Das ist nicht der Weg der Liebe, oder? Lynton spricht von Vergebung. Aber wie kann man dem Bösen vergeben? Wie kann man zulassen, dass es existiert?
Mein Kopf tut weh. Hör auf, Fragen zu stellen. Denk nur noch an Laura. In diesem Moment geht es nur noch um sie. Dies ist endlich der Augenblick der Heilung. Der Neumond geht auf, eine schwache silberne Kontur, die große Dinge verspricht, und ich darf mich jetzt nicht ablenken lassen. Das Auge der Zeit wartet, und der Mystische Weg ruft seine Dienerinnen, um das Opfer zu heilen und die Gefangene zu befreien.
Großer Schöpfer, bitte beschütze heute Nacht alle Unschuldigen im Tal von Wyldcliffe. Silberlicht des Himmels, scheine auf uns, während wir unsere heilige Aufgabe vollbringen. Beleuchte unsere Schritte, selbst in der Dunkelheit der Erde. Lass Laura Frieden finden. Lass meine Mutter all das sein, was sie für mich hätte sein können. Und lass mich beenden, was ich tun muss, und dann zurückkehren. Zu Lynton. Zur Hoffnung. Zum Leben …
Der Neumond hing als geisterhafter Schimmer am riesigen, schwarzen Himmel. Es war Zeit zu gehen. Wir drei hatten verabredet, dass wir uns kurz vor Mitternacht aus der Schule schleichen und beim Schultor treffen wollten. Evie und ich schlichen gemeinsam aus dem Schlafsaal, während Sophie und Celeste tief weiterschliefen, aber als wir den von einem Vorhang verborgenen Alkoven erreichten, in dem sich die Tür zu der Bedienstetentreppe verbarg, stellten wir fest, dass die Tür verschlossen war. Wir sahen uns alarmiert an. Hatte Dr. Franzen bei seiner unaufhörlichen Herumspioniererei im Gebäude diese vergessene Tür gefunden und dafür gesorgt, dass sie nicht länger für irgendwelche Ausflüge von Schülerinnen benutzt werden konnte? Von Sarah war nichts zu sehen. Ich war mir nicht sicher, was wir tun sollten. Ich konnte Evie mitnehmen, sie über die geheimen Wege der Luft aus der Schule bringen, aber was war, wenn Sarah zurückblieb? Am Ende des Ganges erklang ein Geräusch, und wir blickten besorgt auf, hofften, dass es Sarah war. Aber es war Janey Watson, ein Mädchen, das eine Klasse über uns war. Als sie aus dem Badezimmer kam, sah sie uns überrascht an. »Was tut ihr hier?«, flüsterte sie. »Wollt ihr ins Badezimmer?«
»Ähm … Helen fühlt sich nicht so gut«, sagte Evie. »Wir wollten nach unten gehen, zum Krankentrakt.«
»Oh, okay.« Janey starrte mich wieder an, und ihre scharfen kleinen Augen ruhten unverwandt auf meinem Gesicht. »Gute Besserung.« Ich dachte, sie würde in ihren Schlafsaal zurückkehren, aber sie wartete und beobachtete uns neugierig. Uns blieb gar nichts anderes übrig, als zur Marmortreppe zu gehen und so zu tun, als wären wir wirklich unterwegs zum Krankentrakt.
Evie ging voraus, und ich folgte ihr, während mein Herz zu schnell und zu laut klopfte und ich betete, dass niemand uns sehen würde. Als wir auf den Absatz des zweiten Stocks kamen, wo sich der Gemeinschaftsraum und die Schlafzimmer der
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