Das Geheimnis des Falken
Wahrscheinlich genoß sie sie sogar.
»Ich weiß, daß er dunkle Augen hat«, sagte ich, »ob sie hypnotisierend sind, weiß ich nicht.«
»Seine Schauspieler finden das alle, Männlein wie Weiblein«, fuhr Carla fort, indem sie aus einem Augenwinkel Signora Butali beobachtete, »sie sind ihm blindlings ergeben, ohne Ausnahme. Ich nehme an, daß sich jeder einzelne genau wie wir, die bescheideneren Angestellten der Universität, der Hoffnung hingibt, der Professor werde sich eines Tages ganz speziell für seine Person interessieren.«
Wieder entstand eine Pause. Dann sprach Carla entschlossen direkt die Signora an: »Wie schade, daß Sie sich in diesem Jahr nicht beteiligen! Unter der wundervollen Regie Professor Donatis haben Sie im letzten Jahr eine bildschöne Herzogin von Ruffano abgegeben.«
Die Signora begnügte sich damit, die Bemerkung zur Kenntnis zu nehmen, während ich zu spüren begann, daß sich der Ausdruck liebenswürdiger Aufmerksamkeit auf meinem Gesicht zur Maske verhärtete.
»Diesmal sind die Proben in einer Heimlichkeit vonstatten gegangen wie nie zuvor«, fuhr Carla Raspa fort, die die Lage inzwischen völlig beherrschte, »mit nächtelangen Konferenzen hinter verschlossenen Türen, zu denen keine Frau zugelassen wurde. Und selbst die öffentlichen Sitzungen konnte man nur aufgrund besonderer Eintrittskarten besuchen. Ich hatte das Glück, daß mir der Direktor persönlich zwei zur Verfügung stellte, und nahm Armino mit. Glauben Sie mir, es war eine Offenbarung! Aber Sie selbst haben doch sicherlich wenigstens eine oder zwei Proben miterlebt?«
Signora Butali, die sich als Gastgeberin unter ihrem eigenen Dach so distanziert und selbstsicher gab, wirkte in diesem Haus, das nicht ihr gehörte, verletzlich und hilflos. Das verriet sich bis in ihre Haltung hinein. Sie mußte die Via del Sogni in einem plötzlichen Impuls hinaufgelaufen sein, um meinen Bruder abzufangen, bevor er mit ihrem Mann zusammentraf. Sie hatte weder Handschuhe noch Handtasche bei sich. So stand sie mit ineinander verkrampften Händen da – abweisend, fluchtbereit, in Notwehr.
»Leider nein«, antwortete sie, »es ließ sich nicht einrichten. Und in letzter Zeit war ich ja auch soviel in Rom«, fügte sie sicherheitshalber hinzu.
Ich beobachtete, daß sie unauffällig auf ihre Uhr schaute. Dann sah sie bekümmert zu mir herüber, als wolle sie mich um Hilfe anflehen. Aber ich konnte nichts tun, ich konnte nur hoffen, daß Aldo bald zurückkam und die Dinge selbst in die Hand nahm. Ich hatte kein Recht, Carla Raspa hinauszuwerfen, und Signora Butali hatte es auch nicht.
Der Eindringling war sich seiner Macht bewußt. Es kümmerte Carla nicht einen Deut, daß sie in einen offenbar sehr privaten Besuch hineingeplatzt war.
Als sie den Blick auffing, den Signora Butali mir zuwarf, missdeutete sie ihn als ein Zeichen von Feindseligkeit mir gegenüber.
»Professor Donati muß aufgehalten worden sein«, sagte sie, »aber das macht Armino nichts aus. Er kann schließlich den ganzen Nachmittag hier warten, wenn er Lust dazu hat. Nicht wahr, Armino?«
»Ich stehe dem Professor zu Verfügung«, sagte ich kurz.
»Dies hier ist eine der hübschesten Ecken von Ruffano«, fuhr Carla fort und zündete sich eine zweite Zigarette an dem Rest der ersten an. »Kein Verkehr, keine Studentenhorden, keine Nachbarn, die auf der Lauer liegen, um darüber klatschen zu können, wer kommt und geht. Sie wohnen doch nur ein Stückchen weiter herunter, nicht wahr, Signora?«
»Ja.«
»Wie angenehm für Professor Donati, wenn er mit dem Präsidenten etwas zu besprechen hat. Aber natürlich, Sie sagten es ja, Sie waren in letzter Zeit soviel in Rom.« Carlas Tonfall hatte inzwischen einen ironischen Beigeschmack angenommen. Noch eine Anspielung auf die enge Nachbarschaft der beiden, und sie verstieg sich womöglich zu regelrechten Beleidigungen. Ich fragte mich, was in diesem Fall geschehen würde. Ob Signora Butali es wohl fertig brachte, mit einer vernichtenden Replik zurückzuschlagen, oder ob sie die andere Wange hinhielt?
»Wie schön für Ihre Musikschüler, daß Sie wenigstens zu den Wochenenden nach Ruffano zurückkehren konnten«, redete Carla weiter, »ich habe zwei oder drei von ihnen in meinen Vorlesungen sitzen, und sie sprechen mit großer Dankbarkeit von Ihnen. Sie werden trotz Ihrer häufigen Abwesenheit sicher nicht allzu viele Klavierstunden versäumt haben.«
Es wurde Zeit, daß ich eingriff.
»Signora Butali pflegt ihre
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