Das Geheimnis des Falken
Sonntag abend die erste Begegnung der beiden war. Ihre Augen suchten ihm eine Botschaft zu vermitteln. Man sah ihr an, wie verängstigt und gequält sie war.
»Nein«, sagte sie, »das Treffen ist nicht abgesagt …«
Tapfer suchte sie nach Worten, die die aufmerksam lauschende Carla Raspa nicht späterhin zu Universitätsklatsch würde ausmünzen können.
»Ich wollte Sie nur in einer ganz unwesentlichen Angelegenheit sprechen, Professor, wirklich ganz unwesentlich. Vielleicht paßt es ein anderes Mal besser.«
Sie log mitleiderregend schlecht. Wegen einer dermaßen unwesentlichen Angelegenheit würde sie nie und nimmer gewartet haben, sie wäre gegangen, sobald Carla Raspa und ich aufgetaucht waren. Aldo sah mich an. Er mußte sich fragen, warum ich denn nicht den Takt aufgebracht hatte, mich diskret zu verabschieden und Carla mitzunehmen, nachdem ich wußte, daß Signora Butali im Hause war.
»Sie werden sicher entschuldigen, Signorina …«, sagte er, indem er an mir vorbei die Ursache der ganzen Peinlichkeit ins Auge faßte. »Beo, bitte, bring doch etwas zu trinken und Zigaretten, ja? Signora, ich bin untröstlich, dürfte ich Sie bitten …«
Er wies auf die Diele und das dahinter liegende Esszimmer. Signora Butali murmelte ein abwesendes ›Signorina‹ – ein bescheidener Tribut an die Höflichkeit.
Ich goß Carla einen Drink ein, den sie nicht verdient hatte.
»Sie haben sich schandbar benommen«, erklärte ich ihr, »jetzt werden Sie ganz bestimmt nicht ins Haus Nummer 8 eingeladen werden.«
Sie stürzte ihren Drink hinunter und hielt mir ihr Glas wieder hin.
»Wie hat Donati Sie angeredet?« fragte sie mit runden Augen.
»Beo«, sagte ich. »Das ist die Abkürzung für Il Beato, was, wie Sie wissen, soviel wie ›der Glückliche‹ oder ›der Gesegnete‹ heißt.«
Ihre Augen wurden noch größer. »Wie herzergreifend«, murmelte sie. Dann fragte sie: »Weiß die edle Dame Bescheid?«
»Worüber?« fragte ich.
»Über Sie und Donati.«
Plötzlich ritt mich der Teufel. Der Lauf der Dinge hatte einen so kritischen Punkt erreicht, daß mir alles egal war.
»O ja«, sagte ich. »Wir machen gar kein Hehl daraus, freilich nur ihr gegenüber nicht.«
»Sie setzen mich in Erstaunen«, bekannte Carla Raspa.
Sie war so außer sich, daß sie aufsprang und ihren Drink verschüttete. Ich wischte den Fußboden mit dem Taschentuch auf.
»Aber sie ist doch verrückt nach ihm«, erklärte sie. »Das sieht doch jedes Kind. Das liegt doch auf der Hand. Macht ihr diese Affäre denn gar nichts aus?«
»Nein«, sagte ich, »warum auch?«
»Eine Frau wie sie! Die immer und überall die Erste und Einzige sein muß? Mein lieber Armino! Außer wenn …« Immer neue Theorien schossen ihr durch den Kopf, immer neue Bilder bedrängten sie. »Livia Butali, Donati und Sie. Das ist doch nicht möglich …« Ihr schien zu schwindeln. Ich nahm ihr das Glas ab und stellte es aufs Tablett.
»Nein«, sagte sie, »ich gehe nicht, nicht nachdem ich das weiß! Donati müßte mich schon mit Gewalt hinauswerfen. Wo sind sie? In seinem Schlafzimmer?«
Ich schaute auf die Uhr. »Wohl kaum«, sagte ich, »es ist zehn vor zwei. Er kommt ohnehin zu spät. Das Treffen beim Präsidenten hat vor fünf Minuten begonnen.«
»Jetzt werden Sie mir gleich noch erzählen, daß der Präsident auch mit von der Partie ist«, sagte sie.
Ich zuckte die Achseln. »Das dürfte, soviel ich weiß, nicht ausgeschlossen sein«, antwortete ich.
Aus der Diele kam der Klang von Stimmen. Kurz darauf betrat Aldo das Zimmer.
»So, wer ist jetzt an der Reihe?« fragte er. »Ich ziehe es vor, meine Klienten einzeln abzufertigen.«
Bevor Carla den Mund aufmachen konnte, sagte ich schnell: »Die Polizei war in meiner Pension, und ich hielt es für das Klügste, mich in Carlas Wohnung zu flüchten … Ich habe ihr schon erzählt, wieso und warum.«
»In der Bibliothek sind sie auch gewesen«, sagte Aldo, »Fossi rief mich an. Das hat mich so lange aufgehalten.« Dann fügte er, an Carlas Adresse, hinzu: »Vielen Dank, für das, was Sie getan haben. Dieser Junge hier könnte einige Schwierigkeiten bekommen. Für diesen Augenblick habe ich die Herren allerdings mattgesetzt, und hier bei mir ist er in Sicherheit.«
»Ich war froh, daß ich ihm helfen konnte«, gab sie freimütig zu, »besonders als ich eine Chance darin sah, Sie endlich einmal zu Hause aufzusuchen. Ich habe es oft genug probiert. Ich war schon mindestens dreimal hier.«
»Was
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