Das Geheimnis des Falken
alles, was er anordnet. Ich wünsche das«, sagte er. »Verstanden?«
»Nein«, erwiderte ich, »noch nicht. Aber vielleicht werde ich es verstehen, wenn Cesare kommt.« Dann fügte ich zögernd hinzu: »Ich weiß nicht, ob dir die Signora erzählt hat, daß ich heute morgen bei ihr war.«
»Nein«, sagte er, »davon hat sie nichts gesagt.«
»Ich habe auch den Präsidenten kennen gelernt«, fuhr ich fort, »und als die Signora für eine Weile aus dem Zimmer ging, unterhielten wir uns ein paar Minuten unter vier Augen. Bei dieser Gelegenheit erwähnte er – ich will dich mit den Einzelheiten jetzt nicht behelligen –, daß er im Krankenhaus in Rom mehrfach anonym angerufen worden ist. Von einer Frau. Und es ging um dich.«
»Ich danke dir«, sagte Aldo. Seine Stimme war ruhig, sein Gesichtsausdruck unverändert.
»Ich dachte mir«, sagte ich beklommen, »daß ich dich darauf aufmerksam machen müßte.«
»Ich danke dir«, sagte er noch einmal.
Während er sich zur Tür wandte, fügte ich hinzu: »Entschuldige bitte die Szene von eben, Aldo, dieses unglückselige Zusammentreffen zwischen Carla Raspa und der Signora.«
»Warum unglückselig?« fragte er, die Hand auf der Klinke.
Ich machte eine vage Handbewegung. »Die beiden sind so verschieden«, sagte ich, »es gibt gar keine Verständigungsmöglichkeiten …«
Er schaute mich an. Sein Blick war hart und undeutbar.
»Da irrst du«, sagte er. »Sie wollten beide nur ein und dasselbe. Nur, daß Carla Raspa ehrlicher war.«
Die Haustür fiel ins Schloß, und nun, da Aldo nicht mehr bei mir war, packte mich die Angst vor dem, was noch kommen würde.
20. Kapitel
Ich wollte nicht allein sein und fahndete nach Jacopo, der im Begriff war, sich in seine Klause zurückzuziehen.
»Kann ich mit zu Ihnen kommen?« fragte ich beklommen.
Er sah mich überrascht an, machte dann aber sichtlich erfreut eine einladende Handbewegung: »Aber selbstverständlich, Signor Beo«, sagte er. »Ich wollte gerade Silber putzen. Wenn Sie Lust haben, mir Gesellschaft zu leisten …«
Wir gingen in seine Wohnung hinüber, und er führte mich in seine Küche, eine Wohnküche, deren Fenster auf die Via del Sogni blickten. Es war ein freundlicher, behaglicher Raum. Ein Kanarienvogel sang in seinem Käfig unermüdlich zu den Melodien, die ein Transistor produzierte. Jacopo schaltete das Gerät ab, offenbar aus Ehrerbietung dem Besucher gegenüber. An den Wänden hingen Flugzeugbilder, die aus Zeitschriften ausgeschnitten und gerahmt worden waren. Alles mögliche Silberzeug – Messer, Gabeln, Löffel, Platten, Schüsseln – stand auf dem Küchentisch, teils noch mit einer rosa Paste bedeckt, teils schon blank poliert.
Die meisten der Stücke waren mir wohlbekannt. Ich nahm einen kleinen runden Suppennapf zur Hand und lächelte: »Das ist meiner«, sagte ich, »es war ein Weihnachtsgeschenk, und Marta wollte nie erlauben, daß ich ihn benutzte. Sie sagte, er sei zu schade für ›pasta‹.«
»Der Kommandant benutzt ihn beim Frühstück immer als Zuckerschale«, sagte Jacopo. »Seine eigene ist zu groß.« Er zeigte mir eine Dose, die noch nicht geputzt war.
»Die kenne ich auch«, sagte ich, »sie stand im Esszimmer. Meine Mutter pflegte Blumen hineinzustellen.«
Beide Gefäße, Aldos und meins, waren mit den gleichen Initialen geschmückt: A.D.
»Der Kommandant ist sehr eigen mit all diesen Sachen von früher«, sagte Jacopo. »Wenn etwas abhanden kommt oder entzwei geht, was nicht oft passiert, wird er ärgerlich. Er würde sich nie von etwas trennen, das aus den alten Tagen stammt, aus seinem Vaterhaus.«
Ich stellte den Napf wieder auf den Tisch, und Jacopo machte sich daran, das Gefäß zu säubern.
»Merkwürdig, daß er so geworden ist«, sagte ich, »daß er so auf Tradition hält.«
»Merkwürdig?« wiederholte Jacopo erstaunt. »Das ist doch nicht merkwürdig, Signor Beo! So war er immer, solange ich ihn kenne.«
»Mag sein«, erwiderte ich. »Aber als Junge gab er sich sehr rebellisch.«
»Ach, Jungen …« Jacopo zuckte die Achseln. »Als Jungen waren wir alle anders als heute. Der Kommandant wird im November vierzig.«
»Ja«, sagte ich.
Der Kanarienvogel begann wieder zu singen, kunstlos und selig.
»Ich mache mir Sorgen um meinen Bruder, Jacopo«, sagte ich.
»Das brauchen Sie nicht«, antwortete er kurz. »Der Kommandant weiß immer, woran er ist.«
Ich nahm einen der Lederlappen und begann meinen kleinen Napf zu polieren. »Hat er sich in den
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