Das Geheimnis des Falken
Menschenmenge zu seinen Füßen hinab. Studenten und Ruffanesen machten ihren Bummel, wie es laut Paolo am Abend vor dem Festival Tradition war. Die diplomierten Helden und Heldinnen des Tages paradierten mit Medaillen, die an Ketten getragen wurden, gefolgt von einer Schar bewundernder Kommilitonen.
Überall erklang improvisierte Musik von Mundharmonikas, Pfeifen und Gitarren. Stolze Eltern beobachteten das Getümmel nachsichtigen Auges. Dazu rasselten die unvermeidlichen Sammelbüchsen, platzten die Knallfrösche, flüchteten Hunde mit Geheul. Diejenigen, die im Besitz von Autos waren, fuhren unter lautem Hupen langsam um den Platz herum, während die Vespas, unsere darunter, die sehr viel mehr Lärm machten, immer wieder Kreise zogen.
»Was habe ich Ihnen gesagt?« bemerkte Paolo, als zwei Carabinieri in makellosen Uniformen gemessenen Schrittes an uns vorbeikamen. »Keiner schaut Sie an, weder diese Burschen hier noch die anderen im Zivil. Heute abend sind Sie einer von uns.«
»Elia … Elia! …« riefen die Studenten im Chor, und brachen, als sich der Direktor der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften für eine Minute an der Haustür blicken ließ und winkte, in donnernde Hochrufe aus. Hinter Elia sah man Lehrbeauftragte und Angestellte seiner Fakultät, und als er so dastand und lächelte und winkte, hatte man den Eindruck, daß er etwas von seinem Selbstvertrauen und der alten Bravour zurückgewonnen hatte.
Doch als, in der Menge versteckt, ein Student aus dem Hintergrund brüllte: »Wo sind denn Ihre Badehosen?«, was wahre Knallfrosch-Salven und eine Welle unfreiwilligen Gelächters auslöste, zögerte er unmerklich, ehe er noch einmal winkte und sich ins Haus zurückzog. Was dafür sprach, daß er sich nur zu gut an den Dienstagabend erinnerte.
»Wer war das?« schrie Gino wütend und drängte mit den anderen nach den hinteren Reihen, von wo der Unruhestifter gerufen hatte. Im Nu hieß es ringsum: Es ist einer der Kunststudenten vom anderen Hügel gewesen. Es ist einer aus diesem Abschaum von Paukerlehrlingen. Fasst ihn, bringt ihn um … Und dann war der Krawall da, die Menge kam in Bewegung, die Leute begannen zu laufen.
»Ein Vorgeschmack von dem, was kommt«, flüsterte Paolo mir zu. »Aber warum sollen wir uns jetzt über den einen Mann aufregen. Morgen machen wir sie fertig, allesamt.«
Er begann die Vespa zu starten, als Caterina mitten aus dem Gewühl hervorschoss und sich zwischen Paolos Armen auf die Lenkstange zwängte.
»Fahr zu!« rief sie atemlos. »Die Vespa schafft uns schon alle drei. Lass uns sehen, was auf der anderen Seite los ist.« Wir kurvten, gefolgt von Gino und Mario, aus der Piazza Carlo hinaus und rasten über die Ringstraße im Osten unterhalb der Stadtmauern dahin. Dann leuchtete in all ihrem Glanz die Fassade des Palazzo Ducale vor uns auf, überragt von den Zwillingstürmen. Es sah aus, als ob das ganze große Gebäude zwischen Himmel und Erde schwebte, eine scharfgeschnittene Silhouette vor einer Folie von Sternen.
Wir donnerten ins Tal hinunter und dann, durch die Porta San Supplice, den südlichen Hügel hinauf. Aber als wir auf der Höhe zwischen dem Studentenheim und den neuen Universitätsbauten ankamen, stellten wir fest, daß die Verbindungsstraße blockiert war.
Ein Riesenaufgebot von Studenten war zur Stelle, von bewaffneten Studenten.
»Was ist hier los? Sind die Kunststudenten beim Proben?« schrie Gino, als wir Messer blitzen sahen. Keine Antwort. Schweigend liefen sie den Abhang herunter auf uns zu, und als Gino, mit dem Fuß bremsend, wendete, kam ein Speer durch die Luft gewirbelt, der ihn nur um wenige Zentimeter verfehlte.
»Du lieber Himmel«, schrie Paolo. »Das ist keine Probe mehr!« und wendete wie Gino, als schon ein zweiter Speer heranflog und neben unsern Rädern auf den Boden schlug. Wir rasten den Weg zurück, den wir gekommen waren, durchs Tal unterhalb der Wälle und hielten erst auf der anderen Seite. Dort stiegen wir ab und sahen uns wortlos an, während der erleuchtete Palazzo heiter und gleichgültig in der Ferne schimmerte. Die vier Studenten waren kreidebleich. Caterina zitterte, aber nicht vor Angst, sondern vor Aufregung. Was war denn das?
»Jetzt wissen wir Bescheid«, sagte Gino mit fliegendem Atem. »Das also haben sie für morgen in petto.«
»Man hat uns gewarnt«, sagte Paolo ruhig. »Donati hat uns Montag abend im Theater gewarnt … Es wird darum gehen, wer zuerst zum Zuge kommt, das ist alles. Wenn wir ihre
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