Das Geheimnis des Falken
vorderen Linien mit Steinen bombardieren und stürmen, können wir sie überrollen und im Nahkampf stellen, bevor sie Zeit haben, mit ihren Speeren zu werfen oder ihre Degen zu ziehen.«
»Trotzdem müßten wir unsere Anführer darüber informieren, was wir gesehen haben. Wollten sie sich nicht heute abend im Heim in der Via del Martiri treffen?«
»Ja«, sagte Gino.
Paolo wandte sich zu mir. »Die Sache mag Sie im Grunde nichts angehn, aber jetzt sind Sie drin«, sagte er. »Was ist mit Ihrem Bruder? Hat er mit der Universität zu tun?«
»Indirekt«, antworte ich.
»Dann sollten Sie ihm sagen, was ihn erwartet, falls er morgen auf die Straße geht.«
»Ich denke, er weiß Bescheid«, sagte ich.
»Warum vertrödeln wir eigentlich die Zeit mit Reden?« fragte Caterina und stampfte ungeduldig mit dem Fuß auf, »sollten wir nicht lieber die Runde machen und unseren Leuten den Tip geben, sich sämtliche Taschen nicht nur mit Steinen, sondern mit Küchenmessern, Schraubenschlüsseln, Scheren zu füllen, und so bewaffnet auf die Straße gehen?«
Ihr schmales Gesicht, das weiß war vor Leidenschaft, sah plötzlich verzerrt aus unter der Wolke dunkler Haare. »Heute abend sollte keiner von uns zu Bett gehen«, fuhr sie fort. »Wir sollten die anderen mit auf die Felder schleppen und nach Steinen graben. Innerhalb der Stadt finden wir doch keine. Sie müßten gezackt sein, und so groß«, sie beschrieb mit den Händen eine Kugel, »und wir müßten Stricke herumbinden. Wenn man erst den Strick schwingen läßt, fliegen sie mit mehr Kraft.«
»Caterina hat recht«, sagte Gino, »laßt uns fahren! Erst zur Via del Martiri, um die Anführer vorzuwarnen. Vielleicht erteilen sie daraufhin neue Instruktionen. Komm, Mario. Oder was meinst du, was wir tun sollen?«
Er schwang sich auf seine Maschine, und Mario setzte sich hinter ihn. Dann fuhren sie die Straße hinunter, die durch das Tal auf die Porta del Martiri zuführte.
Paolo schaute mich an. »Also?« fragte er, »was nun? Möchten Sie, daß wir Sie zu Ihrem Bruder bringen?«
»Nein«, sagte ich.
Mein Entschluß war gefaßt. Es hatte keinen Sinn, in die Via del Sogni zurückzukehren. Womöglich würde Aldo mich sogar seinen Studenten überantworten, mit der Order, mich in seinem Ferrari auf dem kürzesten Wege nach Fano und auf das Fischerboot zurückzubringen. Morgen hingegen …
Morgen sollte der Zug, der Festzug des Falken um zehn Uhr vormittags von der Piazza Carlo aufbrechen. Wie dieser Zug aussehen würde, wußte ich nicht. Niemand schien das zu wissen. Aber daß Aldo dabei sein würde, schien mir außer Zweifel zu stehen.
Es war ein milder Abend. Die Lederjacke, die wir in Pesaro gekauft hatten, würde warm genug sein. Ich wollte die Nacht im Freien auf einer der Bänke in den Anlagen hinter der Piazza Carlo verbringen.
Paolo zuckte die Achseln, als ich ihm das sagte.
»Wenn Sie es so halten möchten, werden wir Sie nicht hindern«, sagte er, »aber am Morgen stoßen Sie zu uns! Denken Sie daran! Wir versammeln uns auf der Treppe von San Cipriano … Wenn Sie um neun nicht an Ort und Stelle sind, greift man Sie womöglich auf. Hier, nehmen Sie dies.« Er gab mir ein Messer, das er aus seiner Tasche holte.
»Ich werde Gino ein anderes abschwatzen«, sagte er. »Nach dem, was wir heute abend gesehen haben, ist anzunehmen, daß Sie dies hier brauchen werden.«
Caterina und ich kletterten abermals auf die Vespa, und wir fuhren wieder zur Piazza Carlo zurück.
Die Menge hatte sich weitgehend verlaufen. Bürger und Studenten, Verwandtenbesuch und Touristen bewegten sich hügelabwärts auf die Stadtmitte zu. Ich würde die Anlagen für mich allein haben.
»Vergessen Sie nicht, Ihre Jackentaschen mit Steinen zu füllen«, mahnte Caterina. »Im Park finden Sie genug davon. Und hier, nehmen Sie Ihr Paket! Das gibt ein Kopfkissen her. Wir halten morgen nach Ihnen Ausschau, und inzwischen viel Glück.«
Ich schaute ihnen nach, während sie den Hügel wieder hinunterfuhren. Sie waren schnell außer Sicht, und im gleichen Augenblick erloschen schlagartig sämtliche Scheinwerfer. Auch die Statue des Herzogs Carlo war nur noch ein undeutlicher Schatten.
Vom Campanile, den man nicht mehr weiß und schlank in den Sternenhimmel steigen sah, schlug es elf. Dann läuteten, eine nach der anderen, die Glocken der übrigen Kirchen. Als der letzte Ton verklungen war, streckte ich mich auf einer der Parkbänke aus, schob mir das Paket unter den Kopf und schaute, die
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