Das Geheimnis des Falken
»Mit Armino Fabbio. Zur Zeit Assistent Signor Fossis«, antwortete ich. »Darf ich bitte meinerseits fragen, wer sich nach ihm erkundigt?«
»Signora Butali«, sagte die Stimme. »Ich habe ihm etwas vom Präsidenten auszurichten, wegen einiger Bücher.«
Mein Interesse steigerte sich. Die Präsidenten-Gattin persönlich am Apparat, und sie rief aus meinem Hause an … Aber die viel geübte Courtoisie des Reiseleiters gewann die Oberhand über meine Erregung. »Wenn ich Ihnen irgendwie behilflich sein kann, Signora, brauchen Sie nur ein Wort zu sagen«, erklärte ich in schmeichelndem Ton. »Signor Fossi hat Signorina Gatti und mir inzwischen die Aufsicht über die Bibliothek übertragen. Vielleicht könnten Sie mir anvertrauen, worum es sich handelt?«
Sie zögerte einen Augenblick, ehe sie antwortete.
»Der Präsident ist, wie Sie wissen werden, im Krankenhaus«, sagte sie schließlich, »und während eines Telefongesprächs, das wir heute früh hatten, beauftragte er mich, Signor Fossi zu bitten, ihm leihweise ein paar ziemlich wertvolle Bände zur Verfügung zu stellen, derentwegen es eine kleine Unstimmigkeit zwischen Universität und Kunstrat gibt. Er möchte sich diese Bände, falls Signor Fossi nichts dagegen hat, gern persönlich anschauen. Ich könnte sie mitnehmen, sobald ich wieder nach Rom fahre.«
»Aber selbstverständlich, Signora«, sagte ich. »Ich bin überzeugt, daß Signor Fossi nichts dagegen einzuwenden hätte. Um welche Bände handelt es sich?«
»Um ›Die Geschichte der Herzöge von Ruffano‹, in deutscher Sprache«, antwortete sie.
Die Sekretärin machte mir Zeichen. Ich setzte ihr, die Hand über der Muschel, auseinander, daß ich mit der Frau des Präsidenten telefonierte. Das zerstreute im Nu ihre missmutige Bedenklichkeit. Sie sauste energisch hinter ihrem Pult hervor und entriss mir den Hörer.
»Guten Morgen, Signora«, rief sie mit zuckersüßer Stimme in den Apparat. »Ich hatte keine Ahnung, daß Sie von Rom zurück sind. Wie geht es dem Herrn Präsidenten?«
Sie nickte und lächelte und gab mir zu verstehen, daß ich den Mund halten möchte. »Aber selbstverständlich! Natürlich bekommt der Herr Präsident, was immer er wünscht«, fuhr sie fort. »Ich werde dafür sorgen, daß Sie die Bände noch heute im Hause haben. Ich oder einer der Assistenten werden sie vorbeibringen und Ihnen persönlich aushändigen.«
Es folgten weitere Ergebenheitsadressen und die Erklärung, Signor Fossi sei, wie üblich, völlig überarbeitet. Zusätzliches Lächeln, weiteres Kopfnicken. Dann, nachdem die Signora sich offenbar bedankt und verabschiedet hatte, legte die Signorina endlich den Hörer auf.
»Ich hielt es für angebracht«, wandte sie sich zu mir und setzte ihre säuerliche Miene wieder auf, »in Signor Fossis Abwesenheit selbst mit der Signora zu sprechen. Würden Sie die Wünsche des Herrn Präsidenten bitte notieren?«
»Schon geschehen«, sagte ich. »Ich werde Signora Butali die Bände heute nachmittag bringen.«
Signorina Gatti sah mich entgeistert an. »Sie brauchen sich nicht zu bemühen«, sagte sie, »wenn Sie mir die Bücher bitte einpacken wollen – ich nehme sie dann schon mit. Das bedeutet für mich keinen Umweg, und die Signora kennt mich.«
»Signor Fossi«, wandte ich ein, »hat mir strikte Anweisung gegeben, diese Bände nicht aus den Augen zu lassen. Außerdem werde ich in der Bibliothek weniger dringend gebraucht als Sie.«
Wütend begab sie sich an ihr Pult zurück. Ein Husten im Falsett ertönte von der Höhe der Leiter und belehrte mich, daß Toni alles mit angehört hatte. Ich lächelte und machte mich wieder an meine Arbeit. Ich hatte mir den Zugang zu meinem Haus erobert. Im Augenblick zählte nur das und sonst gar nichts.
Zum Mittagessen ging ich nicht in die Pension. Ich entdeckte ein kleines Restaurant in der Via Vittorio Emanuele, das mir, obwohl es überfüllt war von Studenten, für eine eilige Mahlzeit zu genügen schien.
Ich ging zur Bibliothek zurück, während die übrigen Assistenten noch beim Essen saßen, und packte die Bücher für die Frau des Präsidenten ein. Es gab mir zu denken, daß der Präsident eben die Bände, die mich selber so faszinierten, vom Krankenbett aus angefordert hatte.
Zu meinem Bedauern blieb mir kaum Zeit, mich weiter mit der Lebensgeschichte des Falken zu befassen. Ich erinnerte mich an die Geschichte von seinem Wahnsinn und von seinem Tod. Die Details seiner Existenz hatte mein Vater stets beschönigt.
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