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Das Geheimnis des Falken

Titel: Das Geheimnis des Falken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daphne DuMaurier
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Ganz bestimmt waren sie weder im Führer von Ruffano enthalten noch in den Prospekten, die man den Touristen im Palazzo Ducale aushändigte.
    »… die Ausschweifungen waren von so sonderbarer Art, daß sie nur vom Teufel inspiriert sein konnten. Als die gepeinigten Bürger von Ruffano Klage gegen ihn erhoben, übte Herzog Claudio Vergeltung, indem er erklärte, daß ihn der Himmel beauftragt habe, seinen Untertanen die Strafen aufzuerlegen, die sie verdient hätten. Die Stolzen würden nackt dastehen, die Hochmütigen würden vergewaltigt, die Verleumder zum Schweigen gebracht werden. Die Schlange sollte sterben an ihrem eigenen Gift. So würden die Schalen der göttlichen Gerechtigkeit wieder ins Gleichgewicht kommen.«
    Und so weiter, und so weiter, mehrere Seiten lang. Das Bild im herzoglichen Schlafgemach, das Christi Versuchung darstellte, gewann eine neue Bedeutung für mich.
    »Herzog Claudio war zweifellos geisteskrank. Damit jedenfalls entschuldigte ihn nach seinem schrecklichen Tod sein guter und sanfter Bruder, der ihm auf den Thron folgte, der große Herzog Carlo. Auf die Gefolgsleute des Falken können solche Überlegungen freilich nicht angewandt werden. Diese kleine Horde von Wüstlingen glaubte keineswegs, in göttlichem Auftrag zu handeln. Ihre Mission bestand darin, zu besudeln und zu zerstören. So groß waren der Hass und die Furcht, die sie dem Volk von Ruffano einflößten, daß, als das Massaker begann und der Herzog und seine Bande erschlagen wurden, der Legende nach das Blut in Strömen durch die Flure und die Staatsgemächer floß und Scheußlichkeiten, unmöglich beim Namen zu nennen, an den toten Opfern begangen wurden.«
    Ich nahm an, daß der Präsident der Universität deutsch lesen konnte. Diese Seiten würden ihm sicherlich die Zeit im Krankenbett vertreiben helfen.
    Ich packte die Bände ein, und sobald der zweite Assistent vom Essen zurückgekehrt war, machte ich mich auf in die Via del Sogni.
    Meine Aufregung steigerte sich noch, als ich mich der Gartenmauer näherte. Heute gab es kein Herumstehen in der Dunkelheit. Heute kam ich nach Hause. Als ich auf die Villa zuging, hörte ich, wie gestern, Klavierspiel erklingen. Ein Impromptu von Chopin. Die Töne hallten, die Tonleiter hinauf und hinunter, mit fast barbarischer Intensität. Das Spiel glich einem Streitgespräch, das mit wilder Leidenschaft geführt wurde und keinen Einbruch duldete, das alles vor sich herfegte. Dann versickerte es plötzlich in schmelzender Klage. Keine Musik fürs Krankenbett! Aber der Präsident war ja auch mehr als zweihundert Kilometer weit weg, im schönen Rom.
    Ich legte die Hand auf die Gartentür und trat ein. Nichts hatte sich verändert. Der einsame Baum beherrschte wie einst das kleine Gehege. Nur der Rasen war kürzer gehalten als zu unserer Zeit. Ich ging den kurzen, fliesenbelegten Pfad zur Haustür hinauf und läutete. Die Musik verstummte. Ich geriet in eine schulbubenhafte Panikstimmung. Wenig fehlte, und ich hätte die Bücher hingeworfen und wäre davongelaufen. Wie hundert-, wie tausendmal zuvor hörte ich Schritte die Treppe herunterkommen. Dann öffnete sich die Tür.
    »Signora Butali?«
    »Ja.«
    »Verzeihen Sie, wenn ich störe, Signora, aber ich bringe Ihnen die Bücher aus der Bibliothek, um die Sie gebeten haben.«
    Im Audienzsaal des Palazzo Ducale hängt ein Gemälde, das offiziell als ›Porträt einer adeligen Dame‹ geführt wurde, obwohl mein Vater es immer ›Die Schweigende‹ nannte. Das Gesicht ist ernst, verschlossen, die dunklen Augen schauen den Maler gleichgültig, manche finden sogar missbilligend, an. Aldo hatte seine eigene Meinung über das Bild. Ich weiß noch, wie er sich mit meinem Vater stritt und behauptete, die ›Schweigende‹ sei getrieben von geheimer Leidenschaft und der anscheinend so abweisende Mund führe den Betrachter in die Irre. Signora Butali könnte für dieses ›Porträt einer adeligen Dame‹ Modell gestanden haben. Ihre Schönheit gehörte im Typus dem 16. Jahrhundert an, nicht dem Heute.
    »Sind Sie der Herr, mit dem ich telefoniert habe?« fragte sie und fügte hinzu, indem sie eine bejahende Antwort voraussetzte: »Sehr schön, daß Sie so zeitig kommen.«
    Sie streckte die Hand nach den Büchern aus, aber ich schaute an ihr vorbei in die Diele. Die Struktur des Raumes war die gleiche wie damals, aber das war auch alles. Die Form der fremden Stühle – nicht die unseren – und ein hoher Spiegel schienen sogar die Perspektive zu

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