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Das Geheimnis des Falken

Titel: Das Geheimnis des Falken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daphne DuMaurier
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verändern.
    Mein Vater hatte gern Reproduktionen seiner Lieblingsbilder aus dem Palazzo um sich und brachte sie überall an, sicher ein altmodisches Verfahren, aber auf diese Weise lernten wir die Gemälde gut kennen. Jetzt hing nur ein einziges Bild in der Diele, ein modernes Stilleben, viel zu große, glasierte Früchte, die sich neben einem Notenblatt breitmachten. Die Wand neben der Treppe, die ins obere Stockwerk führte, weiß zu unserer Zeit, war jetzt taubengrau.
    All das nahm ich mit einem Blick zur Kenntnis, und im gleichen Atemzug stieg spontan die Empörung in mir auf, daß sich jemand erdreistete, unser Zuhause mit Beschlag zu belegen und es seinem Geschmack entsprechend zu verwüsten, sozusagen den Anstrich der Gewohnheit einfach zu übermalen. Hatten die Wände und die Decken, die uns kannten, denn gar nichts zu sagen? Waren sie zum Schweigen verdammt?
    »Verzeihen Sie, Signora«, sagte ich, »ich bin nicht nur auf Ihre Aufforderung hin gekommen, sondern weil es mich zu diesem Hause zieht. Ich bin schon gestern hier vorbeigegangen und hörte das Klavierspiel. Da ich Musik sehr liebe, blieb ich stehen, um zu lauschen. In jenem Augenblick wußte ich nicht einmal, daß hier der Präsident wohnt. Man erzählte es mir dann später in der Bibliothek. Als Sie heute morgen am Telefon nach den Büchern fragten …«
    Wie die adelige Dame auf dem Porträt lächelte sie nicht, aber ihre Augen blickten freundlicher.
    »Da beschlossen Sie, die Gelegenheit wahrzunehmen«, fiel sie mir ins Wort.
    »Offen gestanden, ja«, sagte ich.
    Ich reichte ihr die Bücher, und noch einmal flog mein Blick die Treppe hinauf. Als ich diese Treppe zum letzten Mal benutzte, lief ich. Meine Mutter rief vom Garten aus. Sie hatte einen Koffer in der Hand, den sie der Ordonnanz des Kommandanten gab. In der Via del Sogni wartete der Dienstwagen auf mich und brachte mich fort.
    »Spielen Sie selbst?« fragte die Signora.
    »Nein, ich hatte kein Talent. Aber gestern … gestern spielten Sie, glaube ich, die erste Arabeske von Debussy, die man weiß Gott oft genug in allen Rundfunksendern hört. Aber irgendwie klang sie diesmal anders. Sie erinnerte mich an meine Kinderzeit und alte, längst vergessene Dinge, ich weiß nicht einmal warum … in unserer Familie spielte niemand Klavier.«
    Sie schaute mich ernst an, als musterte sie einen künftigen Schüler, und sagte dann: »Wenn Sie Zeit haben, kommen Sie mit hinauf ins Musikzimmer. Ich werde Ihnen die Arabeske vorspielen.«
    »Ob ich Zeit habe?« sagte ich. »Es ist mir völlig gleichgültig, ob ich Zeit habe oder nicht. Aber Sie, haben Sie denn Zeit?«
    Wieder wurden ihre Augen sanft. Sogar ihr Mund verlor den strengen Zug.
    »Ich würde Sie nicht heraufbitten, wenn ich es nicht könnte«, antwortete sie, »außerdem ist es noch früh am Tag. Mein nächster Schüler kommt erst um drei.«
    Sie zog die Tür hinter uns zu, legte die Bücher auf einen Stuhl in der Diele und ging vor mir die Treppe hinauf – ins Schlafzimmer meiner Mutter. Es war völlig verwandelt. Nicht ein Detail, das ich wieder erkannte. Mir konnte das nur recht sein, denn bevor ich es betrat, hatte ich mich darauf gefaßt gemacht, das zerwühlte Doppelbett zu erblicken, auf dem am Tag unserer Abreise die Kissen unordentlich durcheinander lagen. Dazu den Schrank mit den offenen Türen, den leeren Borden und ein paar abgelegten Kleidern, die meine Mutter nicht mitnehmen wollte. Auf dem Fußboden Seidenpapier und das Frühstückstablett mit den kalten Kaffeeresten.
    »Ich mag dies Zimmer gern; es kommt mir so friedlich vor. Als wir das erste Mal hierher kamen, sagte ich dem Präsidenten gleich: Hierher stelle ich den Flügel«, erzählte die Signora.
    Die Tapeten waren grün, die steiflehnigen Stühle mit irgend einem gestreiften Material bezogen. Der Fußboden war auf Hochglanz poliert. Ein zweites modernes Bild hing an der Wand, diesmal eine monströse Sonnenblume. Die Signora setzte sich an den Flügel. Er stand auf demselben Platz wie einst das Doppelbett meiner Mutter.
    »Rauchen Sie ruhig, wenn Sie mögen«, sagte die Signora. »Es stört mich nicht. Also dann, die Arabeske.«
    Ich stellte mich ans Fenster und sah durch das Geäst des Baumes in den Garten hinunter. Der Baum war gewachsen. Er streckte seine Äste aus wie Flügel. Sie berührten beinahe die Mauern des Palastes. Der Ball, wenn er noch im Gezweig hing, war nicht zu entdecken.
    Die Melodie begann zu sprühen, es kamen das Entzücken, das Pathos, der

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