Das Geheimnis des Falken
niemand von der Branche da«, sagte er. »Diese Leute hier wissen gar nicht, wovon die Rede ist. Und eines kann ich Ihnen sagen: Wenn irgendwelche offiziellen Schritte gegen uns unternommen werden sollten, werde ich die Dame nicht nur zum Gespött von ganz Ruffano machen, sondern …« Er senkte die Stimme, so daß wir nichts mehr verstehen konnten.
»Sehen Sie«, flüsterte Carla Raspa, »die armen alten Rizzios werden nicht viel aus ihm herausschlagen. Sie wären gut beraten, wenn sie die Dinge einfach laufen lassen oder noch besser aus der Stadt gehen würden. Nach diesem Schlag kann sich die Signorina ohnehin nirgends mehr blicken lassen, und wenn sie's tut, wird sie nur mit lautem Gelächter begrüßt werden, so wie wir es eben am Nebentisch gehört haben.«
Sie nahm eine meiner Zigaretten, trank ihren Wein aus und winkte dem Kellner.
»Ich lade Sie ein«, sagte sie. »Schließlich müssen wir beide unseren Lebensunterhalt verdienen. Im übrigen sind Sie mir noch ein Abendessen schuldig. Wann wollen wir gehen?«
Die Pasquales fielen mir ein. »Heute kann ich nicht«, sagte ich. »Wie wäre es mit morgen?«
»Abgemacht, morgen.«
Wir gingen zusammen den Hügel hinauf.
Während ich die Bibliothek betrat, überlegte ich mir, daß es besser sei, meinem Chef nicht zu erzählen, mit wem ich gegessen hatte. Er würde das möglicherweise übel vermerken.
»Wissen Sie schon das Neueste?« flüsterte mir Toni zu.
»Was denn?« fragte ich vorsichtig zurück.
»Es heißt, daß das Mädchenpensionat geschlossen wird und daß man alle Studentinnen nach Hause schicken will. Das bedeutet, daß sie schriftlich, per Post, Examen machen müssen. Angeblich ist schon vor drei Monaten einmal eingebrochen worden. Die Mädchen sollen sämtlich schwanger sein.«
Giuseppe Fossi, der seiner Sekretärin Briefe diktierte, schaute von seinem Schreibtisch zu dem Störenfried auf.
»Würden Sie bitte die Vorschrift beachten?« sagte er eisig und zeigte auf ein Schild an der Wand, auf dem das Wort ›Ruhe‹ stand. Die Vorschrift wurde befolgt.
Im Laufe des Nachmittags fuhren wir noch zweimal mit weiteren Kisten zum neuen Gebäude hinüber, und jedes Mal gerieten wir in einen Wirbel neuer Gerüchte. Die Studenten standen in Trauben herum und schwatzten, und mit einem Dutzend von ihnen war Toni bekannt oder befreundet. Der Einbruch war das Thema des Tages, und die Attacke auf Signorina Rizzio hatte sich allgemein herumgesprochen. Einige behaupteten, die ganze Geschichte hätte mit den WW-Studenten überhaupt nichts zu tun, und es gäbe einen Verbindungsgang vom Studentenheim zum Pensionat, von dem nur ein paar Glückspilze wüssten und der seit Jahren benutzt würde. Die Signorina sei eine zweite Lucrezia Borgia und habe in ungezählten Nächten aber auch jeden Professor der Universität bei sich zu Gast gehabt, wobei muskulösere Typen bevorzugt worden seien. Andere, auf die Ehrenrettung der Dame bedacht, erklärten, daß Professor Elia persönlich die maskierte Bande von Marodeuren ins Allerheiligste geführt habe und daß ein Nachthemd der Pensionatsleiterin in seinem Besitz sei, das als Schuldbeweis dienen würde.
Allenthalben wurde gelacht, gespottet, gejohlt, gepfiffen, und eine kleine Gruppe gab den Umstehenden sogar ein kurzes, witziges Schauspiel, indem sie das gezierte Gehüpfe von Vögeln nachahmte, die sich im Frühling werbend an einen Partner heranmachen.
Im weiteren Verlauf des Tages aber schlug die Stimmung um. Es hieß, daß die Autoritäten den WW-Studenten nun endgültig die Schuld für den Einbruch gegeben hätten. Diese seien in Krawallaune aus dem Sonntagsurlaub zurückgekommen, hätten singend und miauend unter den Pensionatsfenstern gestanden und die Mutigeren zu der Invasion angestachelt.
Toni zeigte auf den ersten Schwarm von WW-Studenten – erbitterte Jungen und Mädchen –, die aus den ihnen zugeteilten Hörsälen auf der anderen Seite der Via dell' 8 Settembre, nicht weit von unserem Standort, strömten.
»Passen Sie auf!« rief er mir zu. »Jetzt gibt es Ärger.«
Jemand warf einen Stein, der die Windschutzscheibe unseres Lastwagens zertrümmerte. Die Glassplitter flogen herum. Ein zweiter Stein traf 'Toni an der Schläfe. Die kleine Gruppe von Kunst- und anderen Studenten, die gerade aus der Universität kamen und den Hügel hinaufgingen, stieß ein gellendes Geschrei aus, und einige von ihnen rannten auf ihre mutmaßlichen Gegner zu. Im nächsten Augenblick schrie und brüllte alles
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