Das Geheimnis des Falken
aufgeregt. Mittelpunkt der allgemeinen Aufmerksamkeit war aus irgendeinem Grunde Signorina Gatti.
»Es gibt gar keinen Zweifel«, sagte sie gerade. »Ich habe es von einer der Studentinnen, von Maria Gavallini, selbst gehört. Sie ist mit vier anderen in ihrem Zimmer eingeschlossen worden. Erst heute morgen, als der Portier nach der Heizung sehen kam, wurden die vier und vielleicht auch andere wieder aus ihrem unfreiwilligen Gefängnis befreit.«
»Das ist ja schandbar, das ist ja unglaublich! Das wird einen schönen Sturm geben«, sagte Giuseppe Fossi. »Ist die Polizei benachrichtigt worden?«
»Das wußte niemand. Ich konnte mich auch nicht länger aufhalten und mir berichten lassen, ich wäre zu spät gekommen.«
Sobald er mich erblickte, stürzte mir Toni mit Stielaugen entgegen.
»Haben Sie die neuesten Nachrichten schon gehört?« fragte er.
»Nein«, erwiderte ich, »was für Nachrichten?«
»Gestern nacht sind sie im Mädchenpensionat eingebrochen«, berichtete er. »Die Studentinnen wurden in ihre Zimmer gesperrt. Bis jetzt weiß niemand, was eigentlich geschehen ist und wer es war. Die Männer trugen Masken. Wie viele waren es doch gleich, Signorina?«
Aufgeregt wandte er sich zu der blassen Sekretärin, die sich so unerwartet dazu berufen fühlte, so sonderbare Botschaften zu überbringen.
»Ein Dutzend und mehr, heißt es«, antwortete sie. »Wie sie in das Haus eingebrochen sind, ahnt kein Mensch. Es geschah ganz plötzlich, gerade um die Zeit, als die WW-Studenten zurückkamen. Man weiß ja, welchen grässlichen Krach sie mit ihren Fahrzeugen produzieren. Sie bildeten natürlich die Schutzmannschaft für ihre Kameraden – damit die ins Haus gelangen konnten. Man mag es als einen ordinären Streich abtun. Ich nenne so etwas, gelinde ausgedrückt, eine Schande!«
»Schluß jetzt!« befahl Giuseppe Fossi, dessen Augen vor Aufregung mehr denn je aus den Höhlen quollen. »Offenbar ist keinem der Mädchen ein Leid geschehen. In sein Zimmer eingeschlossen zu werden ist weiter kein Malheur, so etwas kommt meines Wissens dauernd vor. Wenn das Haus allerdings geplündert worden ist – das wäre ein anderer Fall. Dann sollte? die Polizei alarmiert werden. Auf alle Fälle wird Professor Elia Stellung nehmen müssen. Und nun lassen Sie uns an die Arbeit gehen.« Er nickte seiner Sekretärin zu und hastete an seinen Schreibtisch. Sie folgte ihm mit Bleistift. Block und hochgerecktem Kinn.
»Warum soll Professor Elia die Schuld haben?« flüsterte Toni. »Er kann doch nichts dafür, wenn seine WW-Studenten Spaß daran finden, ein wenig Radau zu machen. Ich werde meine Freundin später fragen, was wirklich los war. Die weiß das bestimmt von ihren Kumpeln.«
Wir machten uns ziemlich zerstreut an unsere Arbeit. Sobald das Telefon läutete, hoben wir die Köpfe und horchten. Aber Signor Fossis ›Ja‹ und ›Nein‹ enthüllten keinerlei Geheimnisse?, weder ihm noch uns. Ein Überfall auf das Mädchenpensionat betraf die Bibliothek nun einmal nicht.
Den halben Vormittag über schickte Signor Fossi Toni und mich mit Bücherkisten zur neuen Bibliothek. Wir transportierten die Bände in dem Lieferwagen, der für diesen Zweck zur Verfügung stand und normalerweise? vor dem Palazzo Ducale geparkt wurde.
Auf diese Weise bekam ich die neue Bibliothek, die jenseits der Universität auf der Spitze des Hügels lag, zum ersten Mal zu sehen. Sie befand sich in unmittelbarer Nachbarschaft der anderen neuen Gebäude, der Handelsschule und des Physikalischen Laboratoriums. Die neuen Häuser hatten nicht die Anmut des alten Studienhauses, aber sie waren nicht ungefällig in der Linienführung, und die großen Fenster garantierten den Studenten, die einmal in diesen Mauern arbeiten würden, viel Licht und Luft.
»Das ist alles Präsident Butali und den jüngeren Mitgliedern des Universitätsrates zu verdanken«, sagte Toni. »Der alte Rizzio hat das Projekt bis aufs Messer bekämpft.«
»Und warum?« fragte ich.
»Wegen Beeinträchtigung des wissenschaftlichen Geistes«, grinste Toni. »Damit würden seine Studenten zu Fabrikarbeitern degradiert werden. Seiner Auffassung nach ist die Universität von Ruffano schlicht und einfach als eine Bildungsstätte für Pädagogen gedacht gewesen, von der ernste junge Männer und Frauen nach dem Examen hinausgingen in die Welt, um ihre klassische Bildung an Schuljungen und -mädchen weiterzuvermitteln.«
»Das können sie doch nach wie vor.«
»Sicher, aber was für eine
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