Das Geheimnis des Falken
verspäten«, sagte er kurz nach sechs, »das Essen im ›Panoramica‹ beginnt erst Viertel vor neun, aber wir sind schon für acht Uhr fünfzehn gebeten. Der Smoking ist nicht obligatorisch. Aber ich ziehe ihn natürlich an. Meine Frau hat den ganzen Nachmittag beim Friseur gesessen.«
Ob er wohl seine Begleiterin gegen die meine austauschen würde, wenn er könnte? überlegte ich, während er mit der Wichtigkeit eines Kirchendieners, der zu einem Festmahl am päpstlichen Hof geladen ist, aus der Bibliothek stelzte. Ich folgte ihm ungefähr zwanzig Minuten später. Ich besaß keinen Smoking, mit dem ich auf Carla Raspa hätte Eindruck machen können, sondern nur einen einzigen schwarzen Anzug. Der mußte genügen.
»Wollen Sie sich auch das Theater im ›Panoramica‹ ansehen?« erkundigte sich Toni. »Ganz Ruffano wird auf den Beinen sein, sagen die Jungen unten in der Stadt.«
»Vielleicht ja«, erwiderte ich. »Sie können ja ein wenig nach mir Ausschau halten.«
Als die Uhr vom Campanile sieben schlug, stand ich frisch gewaschen, umgekleidet und geschniegelt vor dem Haus Nummer 5. Ich kletterte zum ersten Stock hinauf, entdeckte eine Karte mit dem Namen Carla Raspa, die säuberlich neben der Tür befestigt war, und klopfte. Es wurde augenblicklich geöffnet, und da stand – makellos in Schwarz und Weiß – meine Dame, weiße, tiefausgeschnittene Corsage zum steifen, schwarzen Rock, das Haar auf Hochglanz gebürstet und weich hinter die Ohren gelegt, die Lippen blaß, fast blutleer. Ein Vampir, der gerade im Begriff ist, sich auf sein Opfer zu stürzen, hätte nicht beängstigender aussehen können.
»Ich bin überwältigt«, verkündete ich mit einer Verbeugung. »Die Schwierigkeit ist nur, daß man Sie anrempeln wird, sobald Sie den Fuß auf die Straße setzen, und daß wir infolgedessen nie bis zum ›Panoramica‹ gelangen dürften.«
»Machen Sie sich keine Gedanken«, antwortete sie und zog mich ins Innere der Wohnung. »Ich habe vorgesorgt. Ist Ihnen nicht der Wagen draußen aufgefallen?«
Tatsächlich hatte ich einen Fiat 600 am Bordstein stehen sehen, als ich das Haus betrat.
»Ja«, sagte ich, »gehört der Ihnen?«
»Für diesen Abend.« Sie lächelte. »Von einem freundlichen Nachbarn im zweiten Stock geliehen. Kommen Sie, trinken wir zusammen einen Schluck. Cinzano, extra für Sie. Aus Ihrer Heimatstadt Turin.«
Ich schaute mich um. Die Möbel, wahrscheinlich Serienmöbel, da die Wohnung inklusive Einrichtung vergeben wurde, waren mit Accessoires nach dem Geschmack der Mieterin herausgeputzt. Helle, riesengroße Kissen spreizten sich auf der Bettcouch. Daneben ein schmiedeeiserner Lampenfuß – Made in Ruffano? – mit einem tief herabreichenden Pergamentschirm, der den Lichtschein dämpfte. Die kleine Küche auf der anderen Seite hatte einen roten Fußboden und eine Eßnische mit einem Tisch und zwei Stühlen, die ganz in Schwarz gehalten war. Hier also schwelgte Giuseppe Fossi, bevor er auf der Bettcouch nach der Erfüllung seiner Wünsche strebte.
»Sie sind aber sehr hübsch eingerichtet«, sagte ich. »ich gratuliere, Signorina.«
»Ich habe es gern gemütlich«, sagte sie, »und die wenigen Freunde, die mich hier besuchen, auch. Falls Sie sich zu ihnen rechnen, nennen Sie mich Carla.«
Ich erhob mein Glas und trank auf diese Auszeichnung. Sie zündete sich eine Zigarette an und ging im Zimmer hin und her, wobei von ihrer parfümierten Person Duftwellen ausgingen, die für meinen Geschmack zu penetrant waren. Kein Zweifel, daß dieses Parfüm den Appetit anregen, das Blut zum Sieden bringen sollte. Aber in mir rührte sich nichts.
»Ich habe einen Tisch bestellt«, sagte sie. »Zum Glück ist das Restaurant des ›Panoramica‹ groß genug, um eine Tischgesellschaft von 25 Personen oder mehr und außerdem noch Einzeltische zu fassen.« Plötzlich erblickte sie sich selbst im Wandspiegel und machte einen Schmollmund, ein Reflex, der ihr Vergnügen an ihrem eigenen Anblick verriet.
»Was ist eigentlich Aufregendes dabei«, fragte ich, »ein paar Professoren und ihre Frauen bei einer offiziellen Party zu beobachten?«
»Sie wissen nicht und können nicht wissen, daß das eineinzigartiges Schauspiel sein wird. Es heißt, daß Professor Rizzio und Professor Elia seit einem Jahr kein Wort miteinander gesprochen haben. Den Zusammenstoß muß ich einfach sehen! Außerdem lohnt sich jede Party, die Aldo Donati gibt. Auch wenn man sich nur am Rande herumdrückt, ist das schon
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