Das Geheimnis des Falken
gestand sie. »Aber solange ich hier an der Universität Dozentin bin, wird es dazu nicht kommen.«
Ich fragte sie, was sie denn anderes tun könne oder wolle. Sie zuckte die Achseln.
»Irgendeinen reichen Mann angeln«, antwortete sie, »möglichst mit einer Ehefrau daheim. Unverheiratete Männer bekommen einen schneller satt. Sie haben soviel Auswahl.«
»Hier in Ruffano finden Sie dergleichen ganz bestimmt nicht«, belehrte ich sie.
»Das ist nicht gesagt. Ich hege so meine Hoffnungen. Professor Elia zum Beispiel hat eine Frau, die in Ancona lebt und sich nie blicken läßt. Auch heute abend ist sie nicht dabei.«
»Ich dachte«, sagte ich und deutete mit einem Kopfnicken auf ihre Aufmachung, »Sie wollten Professor Donati einfangen.«
»Warum soll ich mir nicht beide schnappen?« fragte sie, »an Professor Donati ist schwerer heranzukommen. Elia, so erzählt man sich, hat den größeren Appetit.«
Ihre Offenheit war entwaffnend. Ich jedenfalls durfte mich in Sicherheit wiegen. Der Tisch für zwei in der Kitchinette und das Couchbett waren nicht mir bestimmt.
»Wenn plötzlich jemand daherkäme und mich heiraten wollte, würde ich natürlich ja sagen«, fuhr Carla fort, »allerdings nur, wenn er ein vierstelliges Bankkonto vorweisen könnte.« Ich vernahm die Botschaft und ließ einen tiefen Seufzer hören, worauf sie mir liebreich die Hand tätschelte.
»Als Kavalier könnte ich mir niemand besseren denken als Sie«, sagte sie, »und wenn ich meinen großen Fisch an die Angel kriege, und Sie sollten noch in Ruffano sein, bekommen Sie Ihren Anteil von den Brosamen.«
Ich gab meiner Dankbarkeit Ausdruck, und allmählich wurden wir alle beide recht heiter bei der Flasche Verdicchio, die Aal und Polypen hinunterspülen sollte. Ich bemerkte, daß ich ohne jeden Grund vor mich hin lächelte und daß die Wände des ›Panoramica‹ vor mir zurückwichen.
Der Ober war nicht mehr so aufmerksam wie vorher und spähte dauernd ins säulengeschmückte Vestibül hinaus.
»Sind Sie fertig?« fragte Carla und schüttelte den Kopf, als ich etwas dümmlich auf mein leeres Glas deutete. »Nein, nein, ich meine, mit Essen, und wenn ja, sollten wir uns besser aufmachen. Die ersten kommen schon an. Ich höre das am Stimmenlärm. Verlangen Sie bitte die Rechnung!«
Die Rechnung war fertig und wurde mir zusammengefaltet auf einem Tablett gereicht. Wir hatten nur das eine Gericht gegessen, aber aus den verschwimmenden Zahlen ersah ich immerhin soviel, daß wir Beistand von dem zuvor erwähnten Bankkonto außerordentlich gut gebrauchen könnten. Ich zog meine Brieftasche, während mir meine Dame unter dem Tischtuch unbemerkt Hilfsgelder aufs Knie schob.
»Legen Sie noch ein Trinkgeld auf die Prozente drauf«, raunte sie mir zu. »Wenn Sie nicht wieder herkommen sollten – ich bin bestimmt nicht zum letztenmal hier.«
Herablassend wie ein Gott, der sein Mahl vor Ankunft der niederen Sterblichen verzehrt hat, bezahlte ich und geleitete die Signorina aus dem Restaurant.
Das Vestibül füllte sich zusehends mit den geladenen Gästen. Um sie herum sausten die Kellner mit ihren Tabletts und boten Getränke an. Die Männer waren, wie Giuseppe Fossi schon prophezeit hatte, im Smoking. Die Damen prunkten mit Abendkleidern aller Art, und die Friseure von Ruffano hatten offenbar Überstunden gemacht.
Schamlos griff Carla nach einem der Gläser, das ihr der nächststehende Kellner, nicht ahnend, daß sie gar nicht eingeladen war, anbot. Ich tat dasselbe. Die Wirkung des Martini, den ich auf den Verdicchio goß, war beträchtlich.
»Da ist er!« verkündete meine Kumpanin auf dem Feld der Unehre. »Im Smoking sieht er noch verführerischer aus als sonst. Ich könnte ihn fressen.«
Aldo stand mit dem Rücken zu uns, aber trotz des Stimmengewirrs hatten Carla Raspas Worte, die ihr in einer eher für den Hörsaal als für eine hochoffizielle Party geeigneten Lautstärke entschlüpft waren, sein Ohr erreicht. Er drehte sich um und wirkte einen Augenblick lang völlig perplex, eine seltene Leistung für meinen Bruder. Ich konnte mir vorstellen, wie er blitzschnell überlegte: Waren zwei der Einladungen, die er natürlich durch Boten verschickt hatte, vielleicht in falsche Hände gelangt? Mein verlegenes Gesicht und der Versuch, mich zu verkriechen, mußten ihn jedoch sofort beruhigt haben. Er sah eiskalt durch mich hindurch, während er Carla relativ höflich grüßte.
»Die Getränke sind frei«, sagte er, »aber Spenden zur
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