Das Geheimnis Des Frühlings
ihr nun, was ich anfangs gemeint habe? Bembo war ein wandelnder Widerspruch, eine Mischung aus Güte und Grausamkeit. Ich hoffte, er würde heute Abend nicht wütend auf mich sein. Meine Beklommenheit verbarg ich hinter einem kecken Lächeln. »Ist er da?« Ich deutete zur Treppe, in Richtung der Schlafkammer. Carlo nickte.
Gott sei Dank. Nächste Frage: »Und la Contessa? « Wenn die Gräfin zu Hause war, war ich erledigt; ich würde Bembo nie zu Gesicht bekommen, wenn seine hochnäsige Pute von Ehefrau in der Villa residierte. Der Torsteher schüttelte den Kopf und machte Anstalten, die Glocke zu läuten, damit ein Diener mich ins Haus führte, doch ich legte rasch meine Hand auf die seine. »Lass gut sein, Carlo. Ich laufe rasch hinauf und überrasche ihn.« Mein anzügliches Augenzwinkern entlockte ihm ein Grinsen. Ein weiteres rasch aufblitzendes Chi-Chi-Lächeln, und schon hatte ich mich an ihm vorbeigedrängt und lief durch den dunklen, duftenden Garten. Der große Teich lag vor mir, der Sternenhimmel spiegelte
sich darin, und die Schuppen der goldenen Karpfen glitzerten unter der Wasseroberfläche. Einer schnellte in die Höhe und schnappte nach einer Viehbremse, woraufhin sich meine Kehle erneut zuschnürte. Ich schlug einen Bogen um den Teich und gelangte endlich in das geräumige römische Atrium. Niemand löste sich aus dem Schatten, um mich aufzuhalten. Geräuschlos huschte ich im gedämpften Fackelschein die breite Steintreppe hoch.
Vor der zu Bembos Kammer führenden Eichentür blieb ich stehen und lauschte auf irgendwelche Geräusche, konnte aber nur meinen eigenen Herzschlag hören. Zögernd klopfte ich an - einmal, dann noch einmal, diesmal lauter. Keine Antwort. Bembo musste fest schlafen.
Ein kurzes Drehen des Knaufes und schon war ich drinnen und fand meinen Gelegenheitsliebhaber in rote Samtlaken gewickelt im Tiefschlaf vor. Mein benommener Verstand hinkte meinen Füßen zwei Schritte hinterher, denn ich war schon auf Zehenspitzen ans Bett geschlichen und hatte die Hände auf die Decke gelegt, bevor mir einfiel, dass Bembo immer nur in schneeweißen Laken aus kostbarstem ägyptischen Batist zu schlafen pflegte. Niemals in roten.
Blut .
Es klebte an meinen Händen. Ich wusste schon, welcher Anblick mich erwartete, als ich den massigen Körper umdrehte und Bembos Kopf in einem Winkel nach hinten kippte, den die Natur nie möglich gemacht hatte. Die klaffende Wunde im Hals glich genau jener, die Enna den Tod gebracht hatte. Sie war ihm von derselben Hand zugefügt worden, darauf hätte ich wetten können.
Madonna .
Mein eigenes Blut wich aus meinem Gesicht, und ich wäre auf dem Boden zusammengesunken, hätte mich nicht ein Klopfen an der Tür hochschrecken lassen. Ich erstarrte, als ich die Stimme des Hausmädchens hörte. Carlos Frau.
»Herr?« Eine kleine Pause. »Herr? Carlo schickt mich, um
Euch zu sagen, dass Signorina Vetra das Tor passiert hat. Ist sie schon bei Euch, oder soll ich ihr im Atrium eine Erfrischung servieren?« Wieder klopfte es. »Herr?«
Mir blieben vielleicht noch ein paar Sekunden, ehe die Frau den Raum betreten würde. Ich wusste, sie würde nicht zögern, ihren Dienstherrn zu wecken, denn wenn er wirklich nach mir geschickt hätte, hätte er geweckt werden wollen, um sich mit mir vergnügen zu können. Mit einem Satz war ich am Fenster, kletterte hinaus und hangelte mich so rasch wie ein Schiffsaffe an den dicken Glyzinienranken hinab. Tatsächlich hatte ich diesen Fluchtweg schon einmal benutzt, als la Contessa unerwartet und unangekündigt nach Hause gekommen war. Diesmal überschlugen sich meine Gedanken. Ich wusste, dass ich am Tor festgehalten werden würde, sobald Bembo gefunden worden war. Dieses Risiko konnte ich nicht eingehen, also sprang ich nicht zu Boden, sondern rannte über ein niedriges Dach, kletterte über die Gartenmauer und landete mit einem dumpfen Aufprall zwischen den stummen Grabsteinen des Friedhofs von San Miniato. Ich spürte sofort, dass ich nicht allein war, und rang nach Atem, entdeckte zum Glück aber nur einen silbergrauen Reiher, der mich von einem steinernen Tisch aus mit einem Auge böse musterte. Dann erhob er sich wie ein Phantom von dem Grab und flog über die Mauer - zweifellos, um sich Bembos fette Karpfen munden zu lassen. Erleichterung durchströmte mich, aber nur einen Moment lang.
Verdammt.
Wohin jetzt?
In meinem Mieder steckte ein gestohlenes Bild, an meinen Händen klebte im wahrsten Sinne des Wortes Bembos Blut,
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