Das Geheimnis Des Frühlings
eigentlich für viel zu fromm gehalten, um... ach, vergiss es.« Er schüttelte den Kopf. »Bei dem kannst du wenigstens sicher sein, dass er das Geld hat, um dich zu bezahlen, oder vielmehr hat es seine Familie.« Er drehte den Schlüssel im Schloss, und ich trat zurück, als die Tür aufschwang. Dann drängte ich mich rasch an dem unfrommen Bruder vorbei, dem es dank langer Übung dennoch gelang, mir kurz an die Brust zu fassen.
»Die Brüder sind beim Gebet«, grunzte er. »Vergiss nicht, auf dem Rückweg meinen Anteil abzuliefern. Zehn Prozent, wie immer.«
Madonna. Sein Atem stank faulig (der Himmel mochte wissen, was für ein Essen hier auf den Tisch kam), doch ich lächelte in sein gieriges Gesicht und lief in den Hof.
Nun habe ich mit Gott nicht viel zu schaffen, wie ihr wisst, aber trotzdem fühlte ich mich innerhalb der Klostermauern gleich sicherer. Dieser Ort strahlte tiefen Frieden aus: ein kühles Rechteck smaragdfarbenen Grases, das, gesäumt von schlichten Bogengängen, still wie ein glatter See dalag. Am Ende befanden sich eine Kapelle mit einem runden Turm und einer Vierergruppe weißer Säulen. Das Ganze erinnerte mich an einen Tempel, der in dieser Umgebung seltsam heidnisch wirkte. (An dieser Stelle muss ich daran erinnern, dass die Kapelle im Auftrag der Familie Pazzi gebaut worden war, und eine unchristlichere Bande hat die Welt noch nie gesehen. Ich werde später noch näher auf sie eingehen, da sie in
meiner Geschichte eine nicht ganz unbedeutende Rolle spielen.) Ich umging die Grasfläche und schritt auf die linke Seite des Gebäudes zu. Noch ehe ich in das Hauptschiff der Kirche huschte, konnte ich den Gesang der Mönche hören, der aus unerklärlichem Grund eine beruhigende Wirkung auf mich ausübte. Vielleicht war die Gefahr, in der ich schwebte, jetzt ja vorüber, und einer der geistlichen Sänger konnte mir helfen.
Selbst eine gottlose Dirne wie mich lässt das Innere von Santa Croce nicht kalt. Jede freie Fläche ist bemalt; wohin man auch schaut, blickt man auf Szenen aus der Heiligen Schrift. In der Nähe des Altars drängen sich kleine Kapellen, die von zahlreichen Kerzen beleuchtet werden. Die Brüder, deren braune Kutten ihnen wenig Schutz vor der Kälte zu bieten schienen, hatten sich im Kirchenschiff aufgereiht und zum Gottesdienst ihre Kapuzen zurückgeschlagen. Von meinem Platz an der Seitenpforte aus konnte ich nichts als eine Reihe von Profilen sehen, die einander glichen wie ein Ei dem anderen, daher vermochte ich meinen Mönch nicht unter ihnen auszumachen. Meine Kehle schnürte sich zu. Es waren Hunderte, die mich an auf einer Stange hockende Hühner denken ließen. Wie sollte ich ihn da ausfindig machen? Sowie die Messe vorüber war und sie sich ihre Kapuzen wieder über den Kopf gezogen hatten, konnte ich genauso gut versuchen, eine Schnecke von der anderen zu unterscheiden. Ob dieses hoffnungslosen Unterfangens verdrehte ich verzweifelt die Augen und ließ den Blick an den Säulen bis zur Decke emporwandern, wo die Töne des schwermütigen Gesangs verklangen. Steinerne Engel blickten auf mich herab, bei deren Anblick mir wieder einfiel, dass mein Mönch einen ebenso dichten, lockigen Haarschopf hatte wie der Erzengel Michael.
Er war noch ein Novize.
Haar.
Keine Tonsur.
Was hieß, dass ich die Brüder von oben sehen musste.
Und wie zur Antwort auf meine Gebete entdeckte ich inmitten
der Engel einen Fußweg hoch über den Schlusssteinen der Bögen, der entlang des gesamten Hauptschiffes verlief. Ich schlich auf die Treppe zu und stieg die gewundenen Stufen zu dem verborgenen Weg empor. Von hier aus konnte ich die Brüder aus luftiger Höhe ungestört betrachten. Unter mir erstreckten sich die Kirche, die Fresken und die Heiligengräber, und der Gesang wehte zu mir empor. Ich starrte die massive Figur des sterbenden Christus an, die über dem Altar hing und ihren Jüngstes-Gericht-Blick auf mich zu heften schien, bis ich die Balustrade umklammern musste, weil mir schwindlig wurde. Also konzentrierte ich mich wieder auf die gesenkten Köpfe der betenden Brüder und versuchte die Panik niederzukämpfen, die mich zu überwältigen drohte. Bruder Guido musste hier sein, über eine andere Möglichkeit mochte ich erst gar nicht nachdenken. Wieder musterte ich die Reihen der Mönche, diesmal von oben, und entdeckte drei Novizen, deren Köpfe noch nicht von den unverkennbaren kahlen Flecken verunstaltet waren. Zwei von ihnen waren so blond wie Venezianer.
Der dritte war
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