Das Geheimnis Des Frühlings
ihr die Unschuld genommen hatte. Wie sie das wohl meinem Vater beigebracht hatte?
Cosa tre : Was immer früher zwischen ihnen vorgefallen sein mochte - ich konnte nicht ergründen, wie er heute zu ihr stand. Allzu sehr schien er sie nicht mehr zu mögen; in seiner Stimme schwang eine leise Schärfe mit, die mich an eine vergessene Nadel in einem Wandbehang erinnerte, die nur darauf wartet, in einen unvorsichtigen Finger zu stechen.
Der Erzherzog ergriff erneut das Wort. »Sie ist mit Pisa verlobt, wie ich hörte?«
»Ja. Die Hochzeit wird im Juli stattfinden.«
»Schade«, bemerkte der Erzherzog mit einem leisen Schnüffeln. Seine eigene Verlobte schien er vorübergehend vergessen zu haben. Mit noch nicht ganz siebzehn hatte ich wohl das richtige Alter für ihn. »Ich nehme an, unsere Geschäfte sind
für sie nicht von Interesse. Zieht Euch doch in Eure Kammer zurück, meine Liebe, wo Ihr hoffentlich alles vorfindet, was Ihr braucht.«
Aha. Ich war mit einem anderen verlobt und somit uninteressant.
Unsere Audienz endete mit dem Versprechen, uns am Abend auf dem Fest wiederzusehen, das zu unseren Ehren gegeben werden würde. Ich seufzte innerlich. Nun würden wir bis morgen früh bleiben müssen, und ich musste die Verzögerung klaglos hinnehmen, um kein Misstrauen zu erwecken. Wir beugten uns beide über die Hand des Erzherzogs, um sie zu küssen. Ich rechnete schon fast damit, was ich dort sehen würde, also wird es niemanden überraschen, dass an seinem Daumen der goldene Medici-Ring glitzerte.
Auf diese Weise entlassen, folgte ich Marta und einem Diener aus dem Raum, während meine Mutter zurückblieb, um mit dem Erzherzog über ihre geschäftlichen Angelegenheiten zu sprechen. Ich war verärgert und erleichtert zugleich. Meine Mutter hatte mich einmal mehr merken lassen, wie wenig sie mir traute und sich alle Mühe gegeben, den Erzherzog daran zu hindern, in meiner Gegenwart zu viele Einzelheiten ihres dubiosen Geschäftes auszuplaudern. Nun gut. Wenigstens musste ich mir nicht ihre ständigen Belehrungen anhören, mir stand der Sinn nicht nach Politik. Ich wollte nur meinen Freund wiedersehen.
Ich wurde eine Wendeltreppe hinaufgeführt und gelangte in eine weitere geräumige Kammer, deren Wände mit Fresken bedeckt waren. Sie schienen die Geschichte eines Ritters, eines Königs und seiner Mätresse zu erzählen, und das Mädchen vergnügte sich ganz offensichtlich sowohl mit dem König als auch mit dem Drachen tötenden Recken. Ich seufzte wehmütig. Mir würde ein Mann schon reichen, es musste nur der richtige sein.
In der Kammer war es dämmrig; ich konnte die Wandbilder kaum erkennen, also stieß ich die Fensterläden auf.
Der Ausblick war derart schwindelerregend, dass mir der Atem stockte, denn ich blickte in einen steilen, von schroffen Berggipfeln umstandenen Abgrund hinab. Ich schloss das Fenster rasch wieder, woraufhin der Raum erneut in düsteres Halbdunkel getaucht wurde - die kleinen Scheiben waren rund und roh geschnitten, als habe jemand von einem Dutzend Flaschen den Boden abgehackt und die Stücke mit Blei ungeschickt zusammengefügt. Die Glaserkunst Venedigs hatte den barbarischen Norden noch nicht erreicht. Ich schnaubte abfällig. Jetzt, da ich nicht mehr in ihr leben musste, empfand ich sogar einen Anflug von Stolz auf meine Heimatstadt.
Ich öffnete das Fenster wieder. Wir befanden uns in einer solchen Höhe, dass die Wolken direkt vor mir hingen und Falken und Bussarde auf meinem Fensterbrett landeten und mich mit ihren schwarzen Augen neugierig betrachteten, ehe sie im Sturzflug in die Tiefe schossen. Ich fragte mich, ob meine Mutter diese Kammer bewusst ausgesucht hatte, damit ich nicht fliehen konnte. Ich machte mir gar nicht erst die Mühe, den eisernen Ring an der Tür zu drehen; ich hatte genau gehört, wie der Schlüssel im Schloss gedreht worden war. Meine Mutter ging kein Risiko ein. Wenigstens war ich allein - lieber eingesperrt als unter den Augen der allgegenwärtigen Marta spazieren gehen zu müssen.
Die Glocken läuteten zur Prim. Da ich bis zur Komplet und dem Essen nichts zu tun hatte, zog ich den cartone hervor, ging damit so nah an das Fenster, wie ich es wagte, und setzte mich auf eine Holzbank neben dem Fensterbrett. Der Wind pfiff in den Raum, aber da ich Licht brauchte, blieb mir nur die Wahl, entweder zu frieren oder im Dunkeln zu sitzen. Ich behielt meinen Pelz an und ließ das Fenster offen, ich musste ja schließlich etwas sehen.
Ich wollte so viel wie
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