Das Geheimnis Des Frühlings
verkörpert, wie wir wissen, den Künstler Botticelli selbst. Er trägt einen ockerfarbenen Umhang wie an dem Tag, an dem er dich gemalt hat. Dazu trägt er ein Krummschwert im türkischen Stil wie das, das man mir ausgehändigt hat. Er trägt römische Sandalen, ebenfalls genau wie ich, und einen Helm, der wie meiner aussieht. Nach dem Vorbild dieser Figur hat Ludovico innerhalb kürzester Zeit eine Armee aus dem Boden gestampft.«
»Oder Botticelli hat Merkur nach dem Vorbild eines von Ludovicos Infanteristen gemalt.«
»Oder das. Wie dem auch sei, auf jeden Fall haben wir es hier mit hübsch verschleierter militärischer Propaganda zu tun. Was schließen wir daraus?«
Da ich nicht verstand, was er soeben gesagt hatte, zog ich es vor, nicht mit irgendeiner übereilten Bemerkung herauszuplatzen. »Dass Ludovico Sforza sich eine Armee aufbaut und sie mit neuen Uniformen, neuen Waffen und neuen Rüstungen ausstattet...«
»Und das ist noch nicht alles«, unterbrach Bruder Guido. »Er hat einen toskanischen Ingenieur und Baumeister, irgendeinen Burschen aus Vinci angeheuert, damit er ihm Kriegsmaschinen konstruiert - sie sind in einer großen Geheimkammer unter der Burg versteckt. Riesige technische Monster, die eine ungeheure Zerstörung anrichten können. Gott allein weiß, wem sie zugedacht ist.«
»Gut. Er baut sich also eine Armee aus Männern und Kriegsgerät auf...«
»Nicht sich, sondern den Sieben. Die Sieben haben jetzt neue Münzen und eine Kriegsflotte - die Muda aus Pisa und ihre Schwesterflotte aus Neapel. Neapel brachte auch das Brot und Salz eines Bündnisses mit ein: eine Heirat. Semiramide Appiani vereint nicht nur die Häuser von Neapel und Florenz, sondern bringt auch noch die Bleiminen ihres Vaters als Mitgift mit, und dieses Metall ist für die Kriegsführung unentbehrlich. Außerdem haben die Sieben den Segen des Papstes und somit die Billigung der Kirche für ihr Unternehmen. Jede Stadt, die in dem Gemälde vertreten ist und die wir besucht haben, hat einen bestimmten Beitrag geleistet. Venedig zum Beispiel seine Kenntnisse auf dem Gebiet der Münzprägung und Bozen das Silber, den Grundstoff der Münzen.«
»Venedigs Beitrag erscheint mir aber ziemlich gering.«
»Nein. Sie bringen ja außerdem noch einen Schatz von unschätzbarem Wert mit ein.«
»Was denn?«
»Nicht was. Wen. Dich .« Er lächelte. »Wir sollten nicht vergessen, dass noch ein weiteres durch eine Heirat besiegeltes Bündnis mit im Spiel ist. Wenn die Tochter des Dogen von Venedig eine Verbindung mit Pisa und den Sieben eingeht, dann ist der Handel - das Lebensblut eines Stadtstaates - gesichert. Venedig ist das Tor zum Schwarzen Meer und zu allen Routen gen Osten, und selbst wenn die Amtszeit des Dogen zu Ende geht, ist die Familie Mocenigo für Venedigs Schifffahrtsmonopol und seine Handelswege von entscheidender Bedeutung, man kommt an ihr nicht vorbei. Du und nur du allein bist das Unterpfand dafür, dass das auch so bleibt.«
In meinem Kopf drehte sich alles. Ich konnte mich nicht als Teil dieses Puzzles sehen. Es half mir natürlich nicht gerade, dass ich momentan in einer kalten Zelle saß, die nicht größer war als ein Abtritt und auch wie einer roch. »Was ist mit Florenz?«
»Lorenzo de’ Medici ist der Drahtzieher von allem, deswegen prangt auch sein Kopf auf der Münze. Aber was noch wichtiger ist: Er besitzt die Medici-Bank. Er wird für das ganze Unternehmen die Haftung übernehmen und mittels seines neuen giro -Systems immer wieder Geld hin und her schieben. Und Mailand stellt, wie wir jetzt wissen, die Armee.«
»Also gut. Wir sind jetzt hier, haben all die wie Merkur gekleideten Soldaten gesehen und wissen deshalb, dass Merkur Mailand verkörpern muss. Aber dir muss das schon vorher klar gewesen sein, denn als wir uns in Venedig getroffen haben, hast du gesagt, wir würden uns hier wiedersehen. Woher wusstest du damals schon, dass Merkur Mailand war?«
»Ganz einfach. Wegen der Schlangen.«
»Schlangen?«
»An seinem Caduceus.«
»Seinem was?«
Er deutete auf Merkurs rechten, zum Himmel emporgereckten Arm. »Was tut er da gerade?«
»Er rührt mit einem Stock in den Wolken herum.«
»Sieh genauer hin. Sieh dir den Stab an, den er benutzt, um die Wolken wegzuschieben und der Welt den Frühling zu bringen. Um diesen Stab winden sich zwei zum Angriff bereite Schlangen.«
»So?«
»Schlangen sind das Symbol der Familie Sforza, der Herrscher von Mailand. Sie finden sich überall - hier auf
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