Das Geheimnis Des Frühlings
»Vielleicht klärt sich die Bedeutung später, wie bei dem Kompass.«
»Mag sein. Aber auch ohne die Bedeutung dieser Blumen
entschlüsselt zu haben, sind wir jetzt zwei Städte nach Venedig weiter. Und wir haben die Karte trotzdem gefunden«, schloss er triumphierend. »Wir sollten sie uns jetzt ansehen. Viel Zeit haben wir nicht mehr.«
»Jaaa«, erwiderte ich gedehnt. »Ich will dir ja nicht in die Suppe pinkeln, aber bei dieser Rolle handelt es sich nicht um das, was du denkst. Du redest immer von einer Karte . Aber das ist keine Karte, zumindest ähnelt sie keiner, die ich bislang gesehen habe, und in Venedig habe ich viele gesehen und studiert, das kannst du mir glauben.« Dank Signore Cristoforo, fügte ich in Gedanken hinzu.
»Unsinn«, widersprach er. »Zeig sie einmal her.«
Ich zuckte die Achseln. »Wenn du darauf bestehst.« Ich zog die Holzrolle hervor und reichte sie ihm. Er betrachtete die seltsamen Zeichen und Schnörkel, mit denen das Ding bedeckt war, und runzelte die Stirn, doch dann hellte sich seine Miene auf. »Ach so, natürlich. Sie muss hohl sein. Dokumente werden oft in solchen Hüllen transportiert.«
Als ob ich darauf nicht schon selbst gekommen wäre! Ich spürte den altvertrauten Ärger in mir aufsteigen, und es beruhigte mich fast, dass die Züge, die mich an meinem Freund so störten, genauso lebendig und unversehrt geblieben waren wie er selbst. Er inspizierte die Enden genauer. Ich sagte nichts. Sollte er es doch selbst herausfinden.
»Hmm. Nicht hohl.« Ich verkniff mir ein Grinsen. Als ob es irgendetwas gäbe, was ich über diese Rolle nicht wusste, nachdem ich sie zwei Wochen lang wie einen dritten Arm mit mir herumgetragen hatte.
»Aber hier ist etwas - eine Markierung.«
»Wo?«
»Sieh selbst.«
Jetzt musste ich ihm Anerkennung zollen, denn ich hatte die winzige Markierung an einem der flachen Enden glatt übersehen - ein kleiner, in das Holz geritzter Schnörkel. »Sieht aus wie eine Schlange.«
»Oder ein S.«
»S für was?«
»Sieben? Sforza?«
»Sigismund?«, fügte ich hinzu.
»Wer?«
Nun wurde die Schülerin zur Lehrerin. Ich berichtete von meiner Reise nach Bozen und von Sigismund, dem weißhaarigen Alpenfürsten, den eine so eigenartige Hassliebe mit meiner Mutter verband, von einem Berg voller Silber und einem Ring an Sigismunds Daumen.
»Natürlich. Ich habe schon vermutet, dass die Zephyr-Figur irgendwie mit den Bergen zu tun hat, aber ich muss zugeben, dass ich dabei eher die Stadt Trient im Sinn hatte, die für die Halbinsel von enormer politischer Bedeutung ist, weil dort viele religiöse Konzile abgehalten werden. Ich war genau wie du der Meinung, dass die blaue Farbe auf Kälte hindeutet und der Umstand, dass er über den Köpfen der anderen Figuren aufragt, auf große geograflsche Höhe.« So hätte ich es nicht unbedingt ausgedrückt, aber ich widersprach nicht. »Gut gemacht«, lobte er dann. »Und wie hast du von der Rolle des Erzherzogs in diesem Spiel erfahren?«
Ich erzählte von dem Gespräch, das ich belauscht hatte, und meinem nächtlichen Ausflug in die Mine. Er verkniff sich jegliche Bemerkung bezüglich meines unbedachten Handelns, sondern kam direkt zum Kern der Sache.
»Das ist ja alles einleuchtend genug. Die Sieben prägen ganz offensichtlich ihre eigenen Münzen und benutzen dazu die Schablone des englischen Engelstalers, der eigentlich aus Gold besteht, aber sie schaffen eine silberne Version. Silber ist das Metall, das in Sigismunds Herrschaftsgebiet und dem gesamten Habsburg-Land am reichlichsten vorkommt. Deswegen hat Zephyr silberne Flügel; er steht für den silbernen Engelstaler.«
Ich wies ihn nicht darauf hin, dass ich mir das alles auch schon zusammengereimt hatte, denn er hatte sich in Feuer
geredet, während er all das erklärte, was ich auf meinem Ausflug in die Berge gehört hatte.
»Die Zecca ist die berühmte venezianische Münzanstalt, wie du inzwischen sicher weißt. Deine Heimatstadt kann sich neben vielen anderen Dingen mit den besten Geldmünzern der Welt brüsten. >Der Münzreiche<, der Spitzname des Erzherzogs, bedeutet, dass der Mann ungeheure Mengen an Münzen sein Eigen nennt, und in einer Mine werden natürliche unterirdische Edelmetallvorkommen abgebaut - wie es aussieht, hast du dich ja in genau so eine Grube eingeschlichen.«
»Ja, und dabei habe ich eine Münze gefunden, die sie geprägt haben.« Ich konnte nicht verhindern, dass ein Anflug von Stolz in meiner Stimme mitschwang.
»Zeig sie
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