Das Geheimnis Des Frühlings
umrahmten malerisch mein Gesicht. Ich hatte mir eine der Salben, die ich in der Truhe gefunden hatte, in die Haut gerieben. Sie musste winzige Goldflöckchen enthalten, denn mein Fleisch schien geradezu unirdisch zu glühen. Das grüngoldene Kleid schmiegte sich an meinen Körper, der nach einer Woche auf der Straße etwas dünner war, als ich es mochte, aber die berühmten Chi-Chi-Titten hatten nicht gelitten. Das Kleid war so geschnitten, dass meine Brüste im gleichen Maße entblößt und bedeckt wurden. Da ich keinen Schmuck besaß, flocht ich mir die Rosenblüten aus meinem Waschwasser ins Haar. Der Gesamteindruck war überwältigend, die Blumen erinnerten mich an die Primavera und meine Rolle als Flora. Ich nahm die Miniaturkopie des Gemäldes aus dem Mieder meines alten Kleides und verstaute sie sicher in dem des neuen. Heute Abend würden Bruder Guido und ich einem Dritten das Geheimnis der Primavera anvertrauen und endlich einen Verbündeten auf unserer Seite wissen. Mit einer Mischung aus Furcht und Erregung wandte ich mich vom Spiegel ab und ging nach unten.
Die breiten Marmorstufen des Palazzo führten direkt in eine geräumige Halle, in der sich bereits einige prächtig gekleidete Gäste versammelten. Als ich die Treppe hinunterstieg, sah ich einen Regenbogen aus Seide und Samt und hörte das Stimmengesumme der Pisaner, die sich in ihrem seltsamen Dialekt
miteinander unterhielten. Es klang, als schnattere eine ganze Hühnerschar. Sie verstummten, als ich eintrat, und ich entdeckte die Gesichter von Signore Silvio und Bruder Guido in der Menge (hier stieß ich einen erleichterten Seufzer aus, weil meinem Freund offenbar nichts geschehen war). Ersterer nickte anerkennend, Letzterem blieb angesichts der mit mir vorgegangenen Verwandlung fast der Mund offen stehen. Ich konnte ihm keinen Vorwurf daraus machen, er hatte Chi-Chi noch nie in voller Pracht gesehen. Als ich ihn in Santa Croce aufsuchte, war ich schon in Panik und mit Blut besudelt, und auf der Straße war ich nass und verdreckt gewesen. Jetzt bekam er mich zum ersten Mal in voller Schönheit zu Gesicht. Ich verspürte ein leises Kribbeln in der Magengegend. Durfte ich hoffen, dass er sich eines Tages von Gott ab- und den Freuden des Fleisches zuwandte - vorzugsweise meines Fleisches? Nun, wenn dem nicht so war, so gab es zahlreiche Männer in der Halle, die mir lüsterne Blicke zuwarfen, als ich mich zu meinem Gastgeber durchdrängte. Ich wusste, dass ich ein paar von ihnen in mein Bett locken konnte, wenn ich die Gelegenheit dazu bekam. Zeit wurde es - ich war es nicht gewöhnt, so lange auf die Freuden des Fleisches zu verzichten.
Ich verbarg meine profanen Gedanken hinter einem unschuldigen Lächeln, als ich Signore Silvio und seinen Neffen mit dem Ereignis angemessener Höflichkeit begrüßte. Silvio hatte inzwischen sicherlich schon einiges über mich und meinen Lebenswandel erfahren, machte aber keine diesbezügliche Bemerkung. Stattdessen stellte er seine guten Manieren einmal mehr unter Beweis, indem er meine Herkunft fantasievoll ausschmückte, als er mich in den Speisesaal führte.
»Signorina Vetra, heute Abend stellt Ihr die edelsten Damen des venezianischen Hofes in den Schatten, denn keine von ihnen, noch nicht einmal die Favoritin des Dogen selbst, kann sich mit Euch messen. Ihr seid ein wahres Juwel der Toskana.«
Ich lächelte, als ein Diener mir den Stuhl zurechtrückte.
»Euer Neffe hat Euch demnach erzählt, dass ich aus Venedig stamme?«
Er nickte. »Das hat er. Und es fällt mir nicht schwer, das zu glauben. Mit Euren blonden Flechten und den hellen Augen verkörpert Ihr perfekt den nördlichen Typus. Tatsächlich kannte ich einst eine Dame aus Venedig, die Euch sehr ähnlich sah. Sie...« Er brach ab. »Das gehört nicht hierher. Lasst mich nur sagen, dass Ihr weder in diesem noch in jenem Staat Rivalinnen fürchten müsst.«
Dann wandte er sich an den allgegenwärtigen Tok, der sich dicht an seiner Seite hielt. Beide schienen über den leeren Platz rechts von dem Padrone zu sprechen, und ich hatte Gelegenheit, mich zu Bruder Guido links von mir umzudrehen.
»Habt Ihr ihm von dem Bild erzählt?« Seine Worte überschlugen sich fast.
Ich verdrehte die Augen. Sicher, er war ein Geistlicher, aber konnte er nicht wenigstens ansatzweise die guten Manieren seines Onkels an den Tag legen? »Luciana, Ihr seht in diesem Kleid hinreißend aus«, berichtigte ich ihn sardonisch. »Ich kann kaum glauben, dass Ihr es wirklich
Weitere Kostenlose Bücher