Das Geheimnis des Himmels
wirken. „Ich habe nicht vor, die römische Kirche zu verlassen, allerdings scheint es mir kaum möglich zu sein, diesem Luther zu widersprechen. Sollte ich allerdings weiterhin durch seine Schriften und durch sein Verhalten überzeugt werden, wer weiß, vielleicht werde ich dann nicht nur die äußere Heimat wechseln, sondern auch die innere.“
Friedrich wusste noch mehr zu berichten. „In Augsburg soll schon die Kommunion unter beider Gestalt gefeiert worden sein.“
Leonhard blickte ihn erstaunt an. „Mit Hostie und Kelch? Das wird für Aufregung und Ärger sorgen. Wir leben in einer unruhigen Zeit.“
Jetzt erwachte in Friedrich wieder der Schalk. „Na, aber auch in einer interessanten Zeit. Aufbruch allenthalben. Und wir sind mitten dabei.“
Spät am Abend erreichten sie ihr Ziel in Leipzig. Als die drei Flüchtlinge klamm vor Kälte von den Pferden stiegen, wurde schon die Haustür aufgerissen. Barbara, gefolgt von ihren Geschwistern, stürzte sich auf die Ankömmlinge. Als Leonhard seine Töchter sah, konnte er die Tränen nicht länger zurückhalten. Barbara erging es genauso, als sie Friedrich umarmte. Nur Elisabeth gab ihre Gefühle nicht zu erkennen.
Die Nacht verbrachten alle zusammen in dem geräumigen Wohnhaus, das Elisabeth für sich und die Kinder angemietet hatte. Eigentlich hatte Friedrich sich formvollendet verabschieden wollen, aber als er sich anschickte, seine kleine Herberge aufzusuchen, wurde er von Leonhard zurückgehalten.
„Friedrich, der Ritt war anstrengend und die Ereignisse, in die wir verwickelt waren, haben alle unsere Kräfte in Anspruchgenommen. Wir wissen auch nicht, wie viele gemeinsame Tage uns noch vergönnt sind. Wir bitten dich – und ich bin sicher, dass du, Elisabeth, einverstanden bist –, hier bei uns zu übernachten.“
„Aber es ist keine Kammer mehr frei, wie ich bemerken konnte.“
„Das ist auch nicht erforderlich. Barbara und du, ihr habt euch sicher viel zu erzählen, und so ist es für alle am besten, wenn du heute bei ihr übernachtest.“
Friedrich wusste vor lauter Überraschung erst gar nichts zu erwidern, aber dann rangen der Wunsch und die Schicklichkeit einen harten Kampf miteinander aus. Einen Moment lang hatte Leonhard befürchtet, dass sein Angebot, der Liebe endlich einen Raum zu gewähren, von seiner Frau als Verkupplung missdeutet werden könnte und dass sie mit heftigem Widerstand reagieren würde. Aber nichts dergleichen geschah.
„Auch ich möchte, dass die Liebenden zueinander finden“, wandte sich Elisabeth an Friedrich. „Zu oft seid ihr beiden getrennt gewesen. Leonhard hat recht. Wir wissen alle nicht, was uns der nächste Tag bescheren wird. Es soll eure ganz besondere nachträgliche Feier zur Verlobung sein.“
Friedrich gewann langsam seine Fassung zurück. Die Bernhardis, so, wie er sie kannte, hatten auf Höflichkeit und schickliches Verhalten immer großen Wert gelegt. Wenn sie ihn jetzt aufforderten, etwas zu tun, was gegen jede moralische Anforderung an künftige Brautleute verstieß, dann wussten sie genau, was sie taten. Dass die beiden auch noch unabgesprochen den gleichen Gedanken geäußert hatten, imponierte ihm gewaltig.
„Ich danke euch für euer Vertrauen, das ihr mir gegenüber erweist. Ich bitte jedoch zu bedenken, dass nichts gegen den Willen Barbaras geschehen darf. Wir wollen ihr die Entscheidung überlassen. Wenn sie dazu bereit ist, so soll dies heuteunsere verspätete Verlobungsfeier und bereits ein Stück frühe Hochzeit sein.“
Elisabeth nickte und rief Barbara zu sich. Als diese vom Inhalt des soeben geführten Gesprächs erfuhr, fiel sie ihren Eltern und Friedrich um den Hals.
„Ja, ich will.“
39
Am nächsten Morgen hielt ein großes Fuhrwerk vor Bernhardis Wohnung. Pieter Gropius sprang mit elegantem Schwung vom Kutschbock. Da seine Ankunft nicht unbemerkt geblieben war, wurde er von der ganzen Familie begrüßt. Als Letzter näherte sich Friedrich von der Aue.
„So, da wären wir, liebe Schwägerin. Der müsste groß genug sein für euch alle und euren Hausrat.“
„Na ja, so viel ist uns nicht geblieben. Wir haben fast nur noch das, was wir auf dem Leibe tragen. Dafür reicht der Wagen allemal.“
„Darf ich dir Friedrich von der Aue vorstellen, Barbaras Verlobten“, meldete sich Leonhard zu Wort.
Mit einem kräftigen Händedruck begrüßte Pieter Gropius das neue Familienmitglied. „Erfreut, Euch kennenzulernen. Meiner Frau Ursula seid Ihr ja bereits einmal begegnet.
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