Das Geheimnis des Himmels
um Hilfe bettelnd.
„Habt Erbarmen! Habt Erbarmen mit uns! Gebt uns zu essen und zu trinken!“
Ohne eine Antwort abzuwarten, versuchten sie sich dem Wagen zu nähern. Einer von ihnen stürzte und lag zuckend und röchelnd am Wegesrand. Das war zu viel!
„Die Pest! Sie haben die Pest!“ Die drei vorderen Reiter sprengten los und jagten in panischem Schrecken davon. Die Eskorte hinter dem Wagen, bleich von dem Schauspiel, das sich ihnen bot, stob in die entgegengesetzte Richtung davon.
„Bleibt hier, ihr Memmen!“ Der Anführer ließ sich nicht so leicht schrecken – aber es half ihm nichts. Auch sein Begleiter auf dem Kutschbock sprang ab und gab Fersengeld. Sein Pferd, das noch hinten am Wagen angebunden war, ließ er zurück.
„Verfluchte Feiglinge!“ Der Anführer tobte, aber er war nun allein. Egal, dann würde er sich eben mit dem Schwert gegen die Meute verteidigen. Aber bevor er seine Waffe ziehen konnte, hörte das Heulen und Jammern plötzlich auf und die Siechen entpuppten sich als junge, durchaus gesunde Männer, die mit Langdolchen und Kurzschwertern bewaffnet waren. Sie stürzten sich auf ihn und zerrten ihn vom Wagen herunter. Allerdings hatten es die Angreifer schwer, den bärenstarken und kampferprobten Mann zu überwältigen, doch schließlich stieß ihm einer der ehemals Pestkranken seinen Dolch in den Rücken. Mit einem unterdrückten Schmerzenslaut ließ er sich fallen.
„Er wird es schon überleben.“ Friedrich von der Aue schob seine Kapuze zurück und öffnete von hinten die Plane des Wagens. Bernhardi erbleichte. Er hatte den vorgetäuschten Überfall noch nicht durchschaut.
„Keine Sorge, zukünftiger Schwiegervater, unsere Larven sehen aber auch zu echt aus.“ Friedrich wischte sich seine blauschwarzen Eiterbeulen aus dem Gesicht. „Eure werte Gattin hat ganze Arbeit geleistet. Aber wir müssen uns beeilen, sonst war alles umsonst.“
Bernhardi war so verdattert, dass er nichts erwidern konnte. Sie schnitten seine Fesseln durch und eilten durch unwegsames Gelände stolpernd weiter, bis sie an eine Lichtung kamen, wo einige Pferde angebunden waren. Auch ein Bach war vorhanden, in dem sie sich waschen und in normale Menschen zurückverwandeln konnten.
„Habt Dank, liebe Freunde, das hätte schwieriger sein können.“ Friedrich von der Aue war über den schnellen Erfolg selbst überrascht.
„Keine Ursache! Es wurde Zeit, dass wir es den großen Hansen einmal zeigen.“
Die Studenten grinsten breit. Nach der gefährlichen Aktion waren Friedrichs Kommilitonen außerordentlich gut gelaunt.
„Dann wisst ihr ja auch, auf wessen Kosten ihr Euch demnächst im Wirtshaus schadlos halten könnt!“
„Darauf kannst du dich verlassen.“
Friedrich half dem völlig entkräfteten Bernhardi in den Sattel. Langsam ritten sie in ihre Herberge zurück. Bei aller Wiedersehensfreude musste sich Bernhardi doch erst eine Ruhepause gönnen, bevor er Fragen beantworten und neue Pläne schmieden konnte.
In kluger Voraussicht hatte Elisabeth einige Kleidungsstücke und die Waffen ihres Mannes mitgenommen. Nachdem er ein Bad im Zuber genommen und seinen Vollbart abrasiert hatte, war wieder eine gewisse Ähnlichkeit mit dem früheren Leonhard Bernhardi zu erkennen. Danach hatten sie sich viel zu erzählen.
Bernhardi sagte nachdenklich: „Was ich nicht verstehe, ist, weshalb ich keine Antwort vom Kurfürsten oder seiner Kanzlei erhalten habe. Und auch keine Nachricht aus Wittenberg … Wie soll ich das deuten?“
„Es gibt da nur zwei Möglichkeiten“, meinte Elisabeth. „Entweder, und das ist wohl der wahrscheinlichere Sachverhalt, die Räte des Kurfürsten haben kein Interesse gehabt und die Sache beiseitegelegt. Schließlich steht der Reichstag zu Speyer bevor – und da gibt es gewiss dringendere Probleme zu erörtern. Oder aber …“
„Oder die Briefe sind nicht angekommen“, unterbrach Leonhard seine Frau.
Elisabeth zog ihre Augenbrauen hoch. „Weshalb sollten ausgerechnet beide Briefe nicht ihren Adressaten erreicht haben?“
„Tja, das weiß ich leider auch nicht so genau. Es sei denn,wir müssten annehmen, dass ich schon länger beobachtet worden bin. Aber das halte ich für sehr unwahrscheinlich. Meine Tarnung, so glaube ich wenigstens, war gut genug, um meine wahre Identität zu verbergen.“
„Das glaube ich auch. Allerdings dürfen wir auch diese Möglichkeit nicht außer Betracht lassen. Und das heißt – verzeih, wenn ich es so deutlich sage: Du solltest
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