Das Geheimnis Des Kalligraphen
Salman lief zu Karam. Dieser rief ihm gut gelaunt entgegen: »Na, mein tüchtiger Kalligraph. Will dein Chef etwa Essen bestellen?«
»Nein, nein. Er ist wieder im Ministerium, und Samad gab uns eine Stunde Pause als Belohnung, weil wir alle Aufträge erledigt haben, die heute Nachmittag abgeholt werden.« Salman schwieg eine Weile und überlegte, ob er seinem väterlichen Freund Karam nicht von der Liebe zu Nura, die nun schon drei Wochen alt war, erzählen sollte. Er fühlte ein großes Vertrauen und ein ebenso großes Bedürfnis, ihm alles zu erzählen. »Hast du ein bisschen Zeit für mich?«
»Ich habe alle Zeit der Welt für dich, worum geht es?«
»Da ist eine Frau, frag mich bitte nicht nach ihrem Namen. Ich kenne ihn selbst nicht, aber sie ist wunderschön und ich ... ich bin nicht sicher, aber ich glaube, sie mag mich«, erzählte Salman stockend.
»Und wo ist das Problem?«
»Vielleicht bilde ich mir nur ein, dass sie mich liebt. Vielleicht will sie nur ihre Langeweile vertreiben. Dazu ist sie Muslimin.«
»Das eine zu überprüfen ist nicht schwer. Das andere ist eine delikateAngelegenheit, die man langsam angehen muss, aber es gibt immer eine Tür.«
Salman lächelte bitter. »Die Frau ist verheiratet – mit einem mächtigen Mann«, fügte Salman schnell hinzu.
»Ach, du meine Güte! Du bist mir einer. Erst erzählst du eine harmlose Geschichte, dann kommt mit jedem Satz ein weiterer Hammer. Liebst du die Frau? Das ist das Wichtigste. Alles andere wird sich fügen, wenn du sie nur liebst und sie dich liebt. Verheiratet, Muslim, Christ, Jude, Mann, Frau. Das alles spielt nur bei verstockten Geistern eine Rolle.« Er beugte sich über den Tisch und sprach weiter: »Wie du weißt, liebe ich Badri, was er auch tut oder nicht tut, sagt oder nicht sagt. Er liebt mich auch, nicht so, wie ich es mir wünsche, sondern so, wie er kann. Das ist mein Pech, aber ich liebe ihn. Und wenn mich das auch das Leben kosten sollte, ich rücke keinen Zentimeter von ihm weg. Liebe rechnet nicht Positives gegen Negatives, Sicheres gegen Unsicheres, Harmloses gegen Gefährliches, denn sonst wäre sie keine Liebe, sondern eine Handelsbilanz. Also, wie steht es mit deinem Herz?«
»Ich liebe sie sehr, aber ich weiß wirklich nicht, ob sie mich auch liebt. Sicher mag sie mich, aber ich glaube, sie würde erschrecken, wenn sie wüsste, dass ich im Gnadenhof lebe.«
»Sollte dem so sein, dann verlasse sie sofort, denn dann wäre sie deiner Liebe nicht wert. Aber ich glaube, dass es der Frau völlig gleichgültig ist, woher du kommst. Wichtig ist, wer du bist, und da hat sie mit dir ein großes Los gezogen. Aber wenn ich dir einen Tipp geben darf, denke nicht viel, handle – und du wirst schnell erfahren, ob sie dich liebt oder sich nur amüsieren will. Hat nicht euer Jesus gesagt, klopfet an, so wird euch aufgetan? Oder war das Buddha?«
Salman wusste es nicht. Die Stunde war vorbei, und Salman musste zum Atelier zurückgehen. Da hielt ihn Karam am Arm fest. »Ich habe etwas für dich«, sagte er und zeigte auf ein Fahrrad, das am Bürgersteig abgestellt war. Es war ein robustes Transportrad mit etwas breiteren Reifen als die durchschnittlichen Räder und einer kleinen, fest montierten Ladefläche vorne über dem kleineren Vorderrad, wie es viele Lebensmittelhändler und Bäcker für die Belieferung ihrer Kunden gebrauchten. »Made in Holland«, rief Karam, »ich habe es für die Schuldenbekommen, die ein Taugenichts von einem Dichter ein Jahr lang bei mir gemacht hat. Er tröstete mich mit sensationellen Büchern, die er gerade schreibt, in Wirklichkeit schrieb er Gedichte, die unsere lahmen Sprinter alle olympischen Rekorde brechen ließen, würde man sie ihnen eine Stunde lang vortragen und dann eine Tür ins Freie aufmachen. Das Fahrrad deckt gerade ein Viertel seiner Rechnung. Erst wenn die Hälfte der Schulden beglichen ist, darf er sich wieder einen Tee bestellen.«
Salman war überwältigt von diesem Geschenk und umarmte seinen Freund. »Ich dachte, mit dem Fahrrad kannst du mittags mindestens eine halbe Stunde sparen und die Zeit mit ihr genießen«, flüsterte er Salman ins Ohr. Salman erstarrte. »Von deinem Fahrrad darfst du keinem im Atelier erzählen. Stell es bei meinem Freund, dem Töpfer Yassin, ab. Du kennst seinen Laden. Du holst es dir ab, wann immer du willst, und von dort gehst du zu Fuß zum Atelier zurück. Sieht dich einer von Hamids Mitarbeitern, sagst du, das Fahrrad gehöre Karam, du
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