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Das Geheimnis Des Kalligraphen

Das Geheimnis Des Kalligraphen

Titel: Das Geheimnis Des Kalligraphen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rafik Schami
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dürftest es ab und zu benutzen.«
     
    Salman dachte die ganze Zeit nur an Nura und um Viertel vor elf war seine Geduld am Ende. Er schnappte die Tüte mit dem gerösteten Kaffee, die Meister Hamid von der nahe gelegenen Großrösterei für seine Frau besorgt hatte. »Es ist aber noch nicht elf«, nörgelte Samad.
    »Lass ihn doch einmal in Ruhe schlendern«, verteidigte ihn Radi, und Samad stimmte schließlich zu. Salman ging die ersten fünf Schritte langsam, dann raste er zum Töpferhof, stieg auf sein Rad und fuhr los.
    Mit dem Fahrrad brauchte er genau zehn Minuten.
    »Du hast mir mehr als zwanzig Minuten brennendes, kitzelndes Warten geraubt«, sagte Nura und drückte ihn gleich im dunklen Korridor hinter der Haustür an sich. Er küsste sie so lange, wie er kein Wesen vor ihr geküsst hatte. Bald konnte sie nicht mehr stehen und führte ihn zur Kammer gegenüber der Küche. Es war eine Art Rumpelkammer mit einem alten breiten Sofa. Nura hatte sie geputzt und von vielen Töpfen, Lampen, Haushaltsgeräten und unzähligen Kartons mit altem Kram befreit.
    Salman erschien ihr lange Zeit wie ein Wesen aus einer anderen Welt. Er machte seit dem ersten Kuss Mitte April keine Anstalten, mit ihr zu schlafen. Sie brannte danach, aber er streichelte sie so zärtlich und vorsichtig, als wäre ihre Haut ein empfindliches Rosenblatt und als hätte er Sorge, es unter seinen Fingern zu zerdrücken. Das machte sie vollends verrückt nach ihm.
    Als sie es an diesem Tag nicht mehr aushalten konnte, vergaß sie seine Sorge und ihre Zerbrechlichkeit. Sie zog ihm die Hose herunter und nahm ihn ohne lange Erklärungen. Zum ersten Mal in ihrem Leben fühlte sie das, wovon manche Freundinnen berichteten: den vollkommenen Genuss.
    Sie spürte, wie ihre Adern Feuer fingen und heißer Dampf durch ihren Körper fuhr. Ihr Herz schlug heftig, und sie sah das schönste Gesicht der Welt in ihren Händen, das Gesicht eines Mannes, der aus Freude Töne von sich gab wie ein Delphin, und sie fühlte Sorge um ihn und drückte ihn an sich. »Du schmeckst nach gerösteten Pistazien«, sagte er verwundert, nachdem er ihre Brüste geleckt hatte.
    Dann lag er neben ihr auf dem Sofa, und erst jetzt merkte sie, dass er nicht beschnitten war. »Hat dich der Beschneider vergessen?«
    »Nein, wir werden nicht beschnitten«, sagte er.
    »Warum denn nicht? Es ist doch ein Zeichen, dass ein Junge erwachsen ist. Warum bei euch Christen nicht?«
    »Vielleicht wollte Jesus, dass seine Anhänger immer Kinder bleiben.«
     
    22.
     
    N ie im Leben hätte Nassri Abbani gedacht, dass eine leidenschaftliche Liebe so abrupt enden konnte. Über ein Jahr war er in das fünfzehnjährige Mädchen Almas verliebt gewesen. Auch wenn er bei anderen Frauen lag, schloss er die Augen und sah Almas. Sie hatte einen göttlichen Körper mit einer derart glatten und weichen Haut, dassseine Finger kaum Halt fanden. Und wie weiblich sie roch! Und wie sie die Kunst der Koketterie beherrschte. Sie verdrehte den Männern die Köpfe mit dem Pendeln zwischen Andeutung des Möglichen und einer ihr eigenen Zurückweisung, wie sie Nassri zuvor bei keiner Frau erlebt hatte, eine Zurückweisung, die weder beleidigte noch abstieß, sondern lediglich sagte: Du hast dich noch nicht genug bemüht.
    Sie war die Tochter eines seiner Pächter. Gewiss war sie noch ein Kind, aber sie war viel weiter als alle seine drei Frauen zusammen. Sie besaß einen wunderbar komischen Mutterwitz, der ihn erfreute, und blieb niemandem eine Antwort schuldig. Ihre scharfe Zunge – das imponierte Nassri besonders – hinterließ bei ihren Feinden tiefe Wunden. Sie überragte ihn um drei Finger und hatte dazu ein schönes Gesicht, das eher an eine Schwedin als an eine Araberin erinnerte.
    Er kannte sie bereits, als sie noch mit Puppen spielte. Damals schon hatte sie diesen mit Wollust geschminkten Blick, der Männern schmeichelt und sie zugleich provoziert. Ihre Eltern taten so, als verstünden sie all das nicht.
    Immer wenn Nassri ihren Vater besuchte, der nicht viel älter war als er, schien sie nur auf ihn gewartet zu haben. Sie klebte richtig an ihm. Er beschenkte sie großzügig und vergaß nie, ihre Lieblingssüßspeise mitzubringen, Pistazienrollen. Einmal, es war im kalten Monat Januar 1955, wollte er mit ihrem Vater über ein Projekt sprechen, traf aber nur Almas im Haus an. Ihre Eltern waren für ein paar Tage zu einer Beerdigung im Norden gereist. Eine Tante kam abends nach der Arbeit und übernachtete bei dem

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