Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Geheimnis Des Kalligraphen

Das Geheimnis Des Kalligraphen

Titel: Das Geheimnis Des Kalligraphen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rafik Schami
Vom Netzwerk:
erfahrene Freier durchschauten sie. Sie waren unzufrieden und sagten beim Abschied nicht mehr wie früher, dass sie sich paradiesisch gefühlt hätten, sondern sprachen fast wie Ärzte mit ihr, sie sei verspannt, steif und abwesend.
    Sie konnte sich keinen Tag mehr vorstellen, ohne Nassri zu sehen, ihn zu riechen und sich ihm hinzugeben. Und er kam auch täglich gegen Mittag.
    Aber er reagierte fast erschrocken, als sie ihm eröffnete, dass sie sich vorstellen könne, mit ihm und nur für ihn zu leben. Er schrieb ihr keine Briefe mehr und kam seltener, und je mehr sie hinter ihm her telefonierte, umso häufiger ließ er sich verleugnen, und es vergingen vier der schwersten Wochen ihres Lebens. Nassri schien verschwunden zu sein. Sie machte sich große Sorgen und ging eines Vormittags zu seinem Büro. Da saß er und lachte mit einem grauhaarigen Mitarbeiter. Als er sie sah, veränderte sich sein Gesicht. Der Mitarbeiter verschwand aus dem Büro, lautlos und schnell wie einer, der sich vor einem drohenden Gewitter in Sicherheit bringen will.
    »Was suchst du hier?«, fragte Nassri schroff.
    »Dich, ich habe mir Sorgen gemacht. Freust du dich nicht, mich zu sehen?« Sie sah ihn flehend an. Er antwortete nicht, sondern lächelte unsicher und schwadronierte von seinen Geschäften, die ihn binden würden, und er versprach, bald zu kommen. Doch er kam nicht.
    Als sie ihn – wieder nach langer Zeit – im Büro aufsuchte, hielt Taufiq, der grauhaarige Mitarbeiter, sie am Arm fest und verbot ihr den Zutritt. »Das hier ist eine anständige Firma und kein Bordell«, sagte er, schob sie ins Treppenhaus und schlug die Tür zu.
    Die Worte einer alten betrunkenen Hure klangen bedrohlich in ihrem Ohr: »Wenn du das erste Mal abgewiesen wirst, liegt der Gipfel bereits hinter dir und die Talfahrt geht schneller, als du denkst.«
    »Nein«, schrie sie, als sie zu sich kam, lief die Treppe hinunter und aus dem Haus. Sie schwor Rache und kehrte zu ihrer Arbeit zurück, in der Hoffnung, ihre Wunde durch Bitten und Lobeshymnen ihrer Freier zu vergessen. Sie musste nicht lange warten. Bereits der erste Freier, ein berühmter Konditor, lobte sie beim Abschied überschwenglich, er sei so zufrieden wie bei niemandem sonst.
    Bald vergaß sie über dem Schwärmen der Freier den Spruch der alten Hure. Aber sie beschloss, sofort aufzuhören, würde sie das nächste Mal abgewiesen, und in den Norden ans Mittelmeer zu ziehen, sich dort als junge Witwe auszugeben und ein Strandcafé zu eröffnen. Sie würde sich amüsieren und nie wieder als Hure arbeiten, sondern neugierig auf die Überraschungen des Lebens warten. Geld und Sicherheit habe ich genug, dachte sie stolz.

 
    32.
     
    N assri war weder durch den Knochenbruch noch durch die Eifersucht seiner vierten Frau Almas einzuschüchtern. Anfang Februar konnte er wieder ohne Krücken gehen. Eine eiserne Wendeltreppe verband nun den ersten Stock mit der Mansarde.
    Er erzählte Hamid kein Wort von seinem Unfall, sondern schwärmte von der wunderbaren Wirkung des ersten Briefes und bestellte einen zweiten. Er diktierte dem Kalligraphen ein paar Details, vom Lachen der Frau und ihren zarten Händen, und wollte schon gehen, als der Kalligraph ihm sagte: »Ich danke Ihnen, dass Sie keinen Rückzieher gemacht haben.«
    »Rückzieher? Warum um alles in der Welt sollte ich einen Rückzieher machen?«
    »Wegen der unverschämten Erpressung der so genannten ›Reinen‹, die einen ihrer bärtigen Fanatiker zu Ihrem Geschäftsführer geschickt haben. Er rief mich damals besorgt an, und ich beruhigte ihn, dass wir inzwischen auch den Staatspräsidenten al Quatli ins Boot geholt haben sowie alle Patriarchen der Christen.
    Ich habe keine Ahnung, wie die Nachricht überhaupt zu diesen Dummköpfen gelangen konnte!«
    Nassri hörte bereits seit Jahren von den »Reinen«, mit denen auch sein jüngster Bruder heimlich sympathisierte. Er konnte sie nicht ausstehen. Sie sahen wie eine Karikatur des hässlichen Arabers aus, und er fand ihre Propaganda dümmlich. Sie waren gemeingefährlich. Sie wollten Republik, Demokratie und Parteien abschaffen und zu Scharia und Kalifat zurückkehren. Sie hatten in der aufgeschlossenen bunten Gesellschaft Syriens als Partei keine Chance, deshalb unterhielten sie eine Armee im Untergrund, die feindselig und kompromisslos agierte, erpresste, hetzte und Anschläge ausübte, während die vornehmen »Reinen« Vorträge über die glorreiche arabische Vergangenheit hielten, zu der sie

Weitere Kostenlose Bücher