Das Geheimnis Des Kalligraphen
lächerlich, Gott möge dir verzeihen. Aber ich war es nicht. Einbrechen kann heutzutage jeder, aber wenn ich den Schrank ansehe, war das ein Profi. Und ich kann nichts dafür, wenn er in der Nacht kommt und dein Buch oder das Blattgold, dein Messer oder irgendetwas anderes entwendet. Du kannst dir einen Tresor aus Stahl kaufen, aber wie ich höre, kann der König der Damaszener Einbrecher alle Tresore der Stadt mit verbundenen Augen öffnen.« Samad machte eine Pause. »Wenn du auf mich hören willst, entlasse den Laufburschen. Ich habe das Gefühl, dass er nicht sauber ist.«
Hamid schaute auf, seine Augen glühten.
»Schicke ihn weg«, sagte er mit brüchiger Stimme.
33.
I n den folgenden Tagen war Hamid glücklich über den rasanten Fortschritt der Schule. Maler, Elektriker, Schlosser und Tischler arbeiteten rund um die Uhr, damit das Gebäude bereits eine Woche vor der Eröffnung fertig eingerichtet war und in frischer Farbe erstrahlte.
Die feierliche Eröffnung sollte am ersten März sein. Von den hundertzwanzig geladenen Persönlichkeiten hatten nur vier abgesagt. Und alle Redaktionen der Zeitungen und Zeitschriften, die in Damaskus erschienen, wollten berichten, sogar die wichtigste libanesische Zeitung »al Nahar« hatte sich angekündigt.
Zwei Tage vor der Eröffnungsfeier der Kalligraphieschule nahm ein verzweifelt wirkender Nassri den dritten Brief von der Hand des Meisters entgegen. Hatte er kein Glück bei seiner Angebeteten gehabt? Der Text, den Hamid geschrieben hatte, triefte nur so von Tadel über das Versteckspiel und stellte Fragen nach dem Grund der Ablehnung. Dazu hatte Hamid aus einem alten Lyrikband zwei Gedichte aus dem siebten Jahrhundert abgeschrieben. Sie sprachen von der Sehnsucht nach einer einzigen Begegnung. Vielleicht würde Nassri damit ihr Herz erreichen? Hamid wünschte es ihm aufrichtig.
Nassri musste erst ins Büro gehen und mit Taufiq etwas besprechen und dann machte er sich auf den Weg zu seiner Frau Almas, die an einer schweren Grippe erkrankt war. Sie würde ihm heute nicht auf die Schliche kommen.
In dieser Nacht wollte er nun sehen, ob die schöne Frau überhaupt da war. Er stieg hoch zur Mansarde und schaute hinunter in den beleuchteten Innenhof. Er konnte alles klar erkennen – und bei dem, was er sah, stockte ihm der Atem:
Kein anderer als Hamid Farsi saß bei der schönen Frau.
Blind vor Wut stieg Nassri die Wendeltreppe hinunter. Was für eine Niedertracht! Er hatte ihm anvertraut, dass er von dieser Frau abgewiesen wurde, und zahlte Geld und Gold, und dann nutzte dieserscheinheilige Schleicher die günstige Stunde und erpresste womöglich die junge Frau.
Die ganze Nacht lang dachte Nassri über eine Rache nach. Und als ihm endlich einfiel, wie er Hamid schaden konnte, grinste er so breit in der Dunkelheit seines Zimmers, dass es fast leuchtete: »Hamid, Hamid, du hast den größten Irrtum deines Lebens begangen.«
Das aber war Nassris größter Irrtum.
34.
S alman liefen die Tränen die Backen hinunter, als er neben seinem Vater dem Sarg der Mutter folgte. Erst als vier Männer die bescheidene Holzkiste in die Grube senkten, verspürte er keine Trauer mehr. Eine seltsame Angst ergriff ihn. Die Vorstellung, dass seine Mutter nun nie mehr aufstehen würde, drückte ihm schwer aufs Herz.
Nur die Nachbarn vom Gnadenhof und Karam begleiteten die Mutter auf ihrem letzten Weg, und der alte Pfarrer Basilius machte das Elend perfekt. Er war äußerst gereizt, schimpfte mit den zwei Ministranten, die ohne Unterlass Unsinn machten, nuschelte seinen Text herunter wie eine lästige Pflicht und eilte dann augenblicklich nach Hause. Es war ihm zu kalt, und alles schien ihm zu schäbig.
Karam verabschiedete sich am Friedhof von Salman und drückte ihn fest: »Gott hab sie selig. Ich fühle deine Trauer, aber glaub mir, es ist eine Erlösung nach all den Qualen«, er sah in die Ferne, Salman schwieg. »Ich habe eine gute Stelle für dich gefunden, beim Juwelier Elias Barakat. Du kennst ihn. Er mag dich sehr.« Er küsste Salman auf die Stirn und war verschwunden.
Auch alle anderen drückten ihr Mitleid aus, doch bis zum Ende seines Lebens blieb Salman nur der Spruch des Nachbarn Marun im Gedächtnis wie ein einsamer Berg in einer weiten Ebene: »Ich will dich nicht trösten, ich beweine meine Mutter bis heute, Mütter sind göttliche Wesen, und wenn sie sterben, stirbt das Göttliche in uns. JederTrost ist eine Heuchelei.« Als Salman zu ihm
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