Das Geheimnis Des Kalligraphen
zurückkehren wollten.
»Aber hören Sie. Sie kennen Nassri Abbani schlecht. Jetzt betrachte ich die Schule erst recht als eine Notwendigkeit.« Er hielt inne, weil ihm sein eigenes Pathos auf die Nerven ging. Die Kalligraphie hielt er für eine harmlose Kunst.
»Vergessen Sie im Gefecht mit den Bärtigen nicht meinen Brief, den ein ebenfalls Bärtiger dringend braucht«, sagte er, lächelte süffisant, reichte Hamid die Hand und ging rasch hinaus, bevor der Kalligraph den Sinn so richtig verstanden hatte.
Drei Tage später ließ Nassri den nächsten Brief segeln. Die schöne Frau saß im Innenhof und schrieb etwas aus einem großen Buch in ein Heft ab. Sie lächelte, als sie ihn oben in seinem kleinen Fenster sah. Nassri hatte ihr wieder eine Goldmünze mitgeschickt und vorgeschlagen, sich an einem Ort ihrer Wahl zu treffen.
Die Frau lachte, nahm den Brief und verschwand.
Von Mitte Dezember an reiste Hamid Farsi immer wieder durch das Land. Er sammelte Geld und überzeugte einflussreiche Gönner, sein Projekt, die Kalligraphieschule, zu unterstützen. Die Spenden flossen so reichlich und großzügig, dass er Überlegungen anstellte, unmittelbar nach der Eröffnung der Schule in Damaskus eine zweite in Aleppo, der Metropole im Norden, zu eröffnen. Danach sollten fünf weitere Niederlassungen in den Großstädten des Landes gegründet werden. Die Zentrale aber sollte in Damaskus bleiben.
Weit wichtiger als die Spenden war für ihn die Bestätigung seinerVision, dass die Zeit reif war für eine radikale Reform der Schrift. Als er ein Jahr zuvor dem »Rat der Weisen«, dem höchsten Organ im »Bund der Wissenden«, seine Vorstellungen entwickelt hatte, war er ausgelacht worden. Einige Feiglinge sahen darin eine Gefährdung des Bundes und hätten lieber ein weiteres Jahrhundert in Frieden geschlafen. Als er aber von seinen Plänen nicht abließ und verkündete, persönlich die Verantwortung – und sei es um den Preis seines Lebens – zu übernehmen, verwandelten sich die zuerst misstrauisch auf ihn zeigenden in Beifall klatschende Hände.
Das Land befand sich im Aufschwung, und alle Wege standen offen, auch die, die man sich Jahre zuvor nur erträumt hatte.
Mitte Februar bestieg Hamid einen Bus der Linie Damaskus – Aleppo. Gegen neun Uhr fuhr der Bus, der um acht schon hätte fahren sollen, endlich los. Er quälte sich durch die Stadt, bis er an die nördliche Ausfahrt, beim Dorf Qabun, auf die Nationalstraße Richtung Aleppo gelangte.
Auf der Port-Said-Straße sah er, wie Nassri Abbani mit dem bekannten Apotheker Elias Aschkar vor dessen Laden in eine Unterhaltung vertieft war. Die zwei schienen einen herzlichen Umgang zu pflegen. Hamid fragte sich, warum er zu diesem merkwürdigen und großzügigen Nassri Abbani keine enge Beziehung aufbauen konnte, der gewollt oder ungewollt dem »Bund der Wissenden« die größte Unterstützung geleistet hatte.
Einige Mitglieder seines Bundes misstrauten dem steinreichen Lebemann, einige andere wollten sein Geld nehmen, aber seinen Namen nicht auf der Ehrentafel sehen.
Hamid war bei dieser Sitzung aus der Haut gefahren. Ob sie im »Rat der Weisen« nun die Rolle der Weiber übernehmen wollten, die in ihren Kaffeerunden eine Nachricht so lange durchkauten, bis sie zu einem schlechten Gerücht wurde, oder ob es um die Verwirklichung ihrer Idee gehe. »Wir wollen Nassri Abbani nicht heiraten, sondern für unsere Seite gewinnen, deshalb geht uns seine Hurerei überhaupt nichts an. Oder weiß einer von euch, wie oft der Minister oder jener General, Gelehrte oder Händler seine Frau, irgendwelche Kunden oder Gott betrügt?«
Seine Zuhörer klatschten. Er fand sie für eine Sekunde so ekelhaft, dass er einen Schauer über den Rücken laufen fühlte. Eine eiskalte Mauer trennte ihn von allen Mitgliedern genauso wie von Abbani, den er verteidigt hatte.
Drei Tage wollte Hamid in Aleppo bleiben und von dort nach Istanbul weiterreisen, wo er an einem Kongress der islamischen Kalligraphen teilnehmen und über einen großen Auftrag verhandeln wollte. In Ankara sollte eine neue Moschee mit Geldern aus Saudi-Arabien erbaut werden, und berühmte Kalligraphen sollten bei der Gestaltung mitwirken. Drei Meister aus Arabien waren eingeladen worden, und Hamid rechnete sich die besten Chancen aus.
Schon am Tag nach seiner Abreise begannen die Mitarbeiter in Hamid Farsis Atelier kürzer zu arbeiten und immer ausgedehntere Pausen einzulegen.
Samad war ein guter Techniker, der alle
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