Das Geheimnis Des Kalligraphen
nächsten Treffen Nura von seinem Verdacht erzählte, Karam hätte ihn auf sie angesetzt, hörte sie aufmerksam zu. Salman sah aus, als hätte ihn dieser Gedanke sehr bedrückt.
»Und wenn?«, sagte Nura und lächelte ihn an. »Wenn ich dich nicht lieben würde, hätte Karam keine Chance gehabt, auch wenn er den raffiniertesten Mann eingesetzt hätte. Lassen wir Karam, Badri, Hamid, die Wissenden und Unwissenden, die Reinen und die Schmutzigen ihre Verschwörungen weiterweben und machen uns auf und davon«, sagte sie entschlossen. Salman atmete erleichtert auf.
35.
D ie Eröffnungsfeier am ersten März war größer und schöner, als Hamid sich hätte erträumen können. Nur eine Kleinigkeit trübte seine Freude: Nassri Abbani war nicht gekommen. Aber bald vergaß Hamid ihn.
Seine vornehmen Gäste überschlugen sich mit Lob. Auch Staatspräsident al Quatli war anwesend, hielt sich aber dezent zurück. Angesichts der vielen Gelehrten wollte er keine Rede halten.
Man munkelte, die Saudis, mit denen seine Familie seit Jahrzehnteneng verbunden war, hätten ihn darum gebeten, bei der Eröffnung keine Rede zu halten, um nicht einer privaten Kalligraphieschule eine politische Dimension zu geben. Als Hamid das hörte, wölbte sich seine Brust vor Stolz.
Die Gelehrten waren alle der Meinung, Hamid Farsi gebühre ein Denkmal am Eingang der Schule, denn noch nie habe ein Mann im Alleingang so viel für die arabische Schrift und Kultur erreicht.
Der Kultusminister lobte Fleiß, Vision und Hartnäckigkeit des ersten Schuldirektors Hamid Farsi, der ihn fast wöchentlich aufgesucht habe, bis er endlich die schriftliche Genehmigung des Kultusministeriums in der Hand gehalten hatte.
»Ich fragte den Meister«, plauderte der Minister, »seit wann dieser kühne Plan verfolgt wurde. Er antwortete: ›Seit 940.‹
Ich hatte wohl falsch verstanden und dachte, er meinte 1940. ›Siebzehn Jahre?‹, fragte ich anerkennend.
Hamid Farsi lächelte und korrigierte mich nicht, aus Höflichkeit! Doch mein belesener Mitarbeiter, ein Bewunderer des Herrn Farsi, sagte mir später: ›Herr Farsi meinte das Todesjahr des größten Kalligraphen aller Zeiten, Ibn Muqla, 940.‹
Es ist mir deshalb eine besondere Ehre, die Schule eröffnen zu dürfen, die seinen Namen wieder lebendig macht.«
Anhaltender Beifall donnerte durch das Haus.
Als Hamid zum Rednerpult ging, blitzten die Kameras der Fotografen um die Wette. Er bedankte sich und versprach alles nur erdenklich Mögliche für die Kalligraphie zu tun. Seine Rede war kurz und strotzte trotzdem vor Kraft. »Meine Damen und Herren, hier in Damaskus, das verspreche ich Ihnen«, rief er zum Schluss, »hier im Herzen Arabiens wird die Kalligraphie aufblühen und Damaskus wieder zur Hauptstadt einer starken Nation machen.«
Der Beifall rührte Hamid zu Tränen.
Als er die Liste der Förderer genüsslich langsam verlas, fiel ihm wieder auf, dass Nassri Abbani nicht anwesend war. Warum war er nicht erschienen?
Die Gäste aßen und tranken, lärmten und lachten bis Mitternacht. Immer wieder zuckte ein Kamerablitz, weil viele ein Erinnerungsfotomit legendären Persönlichkeiten wie dem genialen Fares al Churi, dem einzigen christlichen Ministerpräsidenten der Geschichte Syriens, machen wollten.
Nach der Feier, als alle Gäste die Schule verlassen hatten, umgab Hamid eine tiefe Stille. Er ging durch das leere Haus und ließ die Bilder der vergangenen Stunden an sich vorbeiziehen. Sein großer Traum hatte sich erfüllt, aber war er nun ein glücklicher Mann?
Warum war Nassri Abbani der Feierlichkeit ferngeblieben? Alle rätselten darüber. Nassri Abbanis ehemaliger Lehrer, Scheich Dumani, ein seniler alter Mann, den Hamid eingeladen hatte, um Nassri Abbani eine Freude zu machen, staunte, dass sein schlechtester Schüler in fünfzig Jahren Lehrzeit an der Spitze derer stand, die die Kultur der Kalligraphie förderten: »Er schrieb so unleserlich, als hätte er die Hühner bestochen, seine Hausaufgaben zu machen«, sabberte er zahnlos.
»Wie immer ist der Bursche mit seinem Widerhaken irgendwo hängen geblieben«, rief er laut in die Runde und packte andeutungsvoll mit seiner linken Hand seinen Hodensack.
»Diese Gefahr droht uns beiden nicht«, kommentierte der alte Fares al Churi zynisch. Die Runde der Männer lachte laut.
Warum war Nassri nicht gekommen? Steckten die idiotischen »Reinen« dahinter, dass Taufiq, Nassri Abbanis rechte Hand, plötzlich, einen Tag vor der Feier, anrief
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