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Das Geheimnis Des Kalligraphen

Das Geheimnis Des Kalligraphen

Titel: Das Geheimnis Des Kalligraphen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rafik Schami
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und herumschwafelte, er bekomme viele Drohungen, deshalb wolle sein Chef den Mietvertrag gerne wieder lösen, »aus Gründen der Sicherheit für unser Eigentum, verstehen Sie?« Hamid verstand nicht, und sein Rechtsanwalt beruhigte ihn, der Mietvertrag gelte und keine Macht auf Erden könne ihn rückgängig machen.
    Nassri Abbani blieb nicht nur der Feier fern. Er ließ sich auch danach verleugnen und rief nicht zurück.
    Was war geschehen?
    Hamid wusste keine Antwort.
     
    36.
     
    A m zehnten April 1957 stiegen Nura und Salman in den Linienbus Damaskus-Aleppo. Sie hatten drei große Koffer und eine Handtasche mit Proviant und Getränken dabei.
    »Mach beide Hände auf«, sagte Nura, als sie endlich saßen, und legte einen schweren Samtbeutel hinein.
    »Was ist das?«, fragte er.
    »Siebzig Goldmünzen, die mir Hamid zur Hochzeit geschenkt hat. Das war mein Lohn im Voraus für vier Jahre Putzen, Kochen und Bügeln. Und dafür, seine Launen zu ertragen. Das andere kann er nicht mit Geld bezahlen«, sagte sie mit leiser, trauriger Stimme.
    Sie schaute zum Fenster hinaus auf die Arbeiter, die dabei waren, Straßenbahnschienen aus dem Boden herauszureißen. Es war die dritte Straßenbahnlinie, die eingestellt wurde. »Man sieht gar keine Mietesel mehr«, sagte sie und schüttelte den Kopf. Was sie für Probleme hatte, dachte Salman. Da flüchtete sie aus Heimatstadt und Ehe und dachte an Esel. Er legte den Arm um sie. »Ich werde immer dein Esel sein!«, sagte er, aber sein Scherz konnte Nura nicht erheitern.
     
    Erst zwei Stunden vor der Abfahrt hatte sie Dalia aufgesucht. Die Schneiderin hatte von ihrer Nähmaschine zu ihr aufgesehen und sofort verstanden. »Ich verschwinde«, flüsterte Nura.
    »Das habe ich gleich vermutet, als du kamst. Hast du es dir genau überlegt?«, fragte Dalia. Nura nickte.
    Sie weinten beide beim Abschied, Dalia wusste, sie würde ihre junge Freundin nie wiedersehen. Später sollte sie sagen, an dem Tag hätte sie zum ersten Mal begriffen, dass man sich in Lebensgefahr begeben kann, nicht weil man das Leben hasste, sondern weil man es liebte.
    Zuletzt lief Nura zu ihrem Elternhaus. Sie wusste, dass ihr Vater seit Tagen mit einer Grippe im Bett lag. Sie gab ihm einen Umschlag mit Briefen, erklärte ihm kurz, was das für Briefe waren, und bat ihn, sie gut zu hüten. Dann war sie schon wieder auf dem Sprung. Er lief inHausschuhen hinter ihr her. »Kind«, fragte er erschrocken, »ist etwas passiert?«
    Sie weinte.
    »Kann ich dir helfen, mein liebstes Kind?«, fragte er und fühlte sich so schwach auf den Beinen, dass er sich stützen musste.
    »Lies meinen Brief, und sieh, was du machen musst. Ich helfe mir selber«, sagte sie und sah, dass er weinte. Seine Tränen zogen sie wie Blei in die Tiefe. Sie machte sich innerlich von ihm los und eilte hinaus.
    »Gott schütze dich auf deinen Wegen«, flüsterte er und hoffte, sie würde sich am Ende der Gasse umdrehen und winken, wie sie das immer gemacht hatte, aber Nura war schon um die Ecke zur Hauptstraße verschwunden.
    Rami Arabi ging langsam in sein Schlafzimmer zurück. Mit zitternden Fingern öffnete er den großen Briefumschlag. Er enthielt Nuras langen Abschiedsbrief und mehr als dreißig Zettel mit seinen Bonmots und Redewendungen. Sein Herz ahnte, dass die Rückgabe seiner Worte eine tiefe Trennung bedeutete. Doch der große Schreck kam mit Nassris Briefen.
    Er war entsetzt, suchte Halt, nahm Nuras Brief wieder zur Hand und las ihn sorgfältig. Sie schrieb ihm von ihrer Enttäuschung, von der Qual eines unglücklichen Ehelebens, das er ihr zugemutet hatte. Sie versicherte ihm, dass sie weder ihn noch ihre Mutter dafür hassen würde, aber sie wolle ihr Leben in die eigenen Hände nehmen, da sie als Eltern ihre erste Pflicht verletzt hätten, sie zu beschützen.
    Rami Arabi kannte seine Tochter viel zu gut, um sich nun dumm zu stellen. Sie hatte ihm all das geschrieben, bevor sie flüchtete, weil sie sich wie ein Schwamm fühlte, der vollgesaugt war mit bitteren Worten. Sie musste den Schwamm auspressen, um das aufnehmen zu können, was ihr das neue Leben bieten würde.
    Als er alles zum dritten Mal gelesen hatte, warf er einen Blick auf die verführerischen Briefe mit der Handschrift des Ehemannes. Seine Hände zitterten. Er fühlte sich wie gelähmt.
    »Verfluchter Zuhälter«, hörte er sich laut rufen.
    Ihre Mutter erfuhr an jenem Apriltag erst abends von Nuras Besuchund den Briefen, als sie von der wöchentlichen Sitzung einer

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