Das Geheimnis Des Kalligraphen
eine Katastrophe, die man verhindern müsse. Man müsse ihn töten, um nicht von ihm getötet zu werden.
Taufiq schwieg. Als Nassri Luft holte, stand er auf. »Ich muss zurück ins Büro. Wir haben heute ein großes Geschäft mit den Japanern vor uns«, sagte er und ging. Nassri war empört über seinen Mitarbeiter und verfluchte ihn und alle Japaner.
Als er ans Fenster trat, stockte ihm das Blut vor Angst. Auf der anderen Straßenseite stand nicht einmal zehn Meter entfernt hinter dem breiten Stamm einer Pappel Hamid Farsi und beobachtete das Gebäude. Taufiq verließ das Haus und ging zu seinem Citroën. Hamid wartete noch einen Augenblick, bis ein Bus sein Versteck abschirmte, dann eilte er wie ein Wiesel auf das Gebäude zu.
Nassri erstarrte. Er wusste, dass weder seine noch die meisten anderen Wohnungstüren Schilder trugen. Aber vielleicht war dem Kalligraphen das Versteck genau verraten worden. Er ging in die Küche und suchte nach einem großen Messer, fand aber nur kleine, alte Messer mit morschen Holzgriffen. Dann aber entdeckte er einen langen spitzen Kebabspieß. »Komm nur her. Ich spieße dich auf«, flüsterte er und grinste böse bei der Vorstellung, den Kalligraphen wie Schaschlik mit Zwiebeln und Paprika über ein Feuer zu halten. Er ging mit dem Spieß in der rechten Hand auf Zehenspitzen zur Wohnungstür. Dort lauschte er auf die Geräusche im Treppenhaus. In der Nachbarwohnung rechts von ihm weinte laut ein Mädchen, in der linken fiel ein Topfdeckel krachend zu Boden. Unter ihm fluchte eine Frau. Er glaubte Schritte zu hören. Da fiel ihm ein, dass zu viel Stille in einer Wohnung verdächtig sein konnte. Er lief ganz gelassen ins Wohnzimmer und drehte das Radio an, und als er auf ein weinerliches Lied stieß, dachte er: »Das mögen Hausfrauen.« Dann ging er zurück in die Küche, ließ Wasser laufen, klopfte mit einem Kochlöffel gegen ein Brett und stieß ein Wasserglas gegen eine blecherne Schüssel.
Er kam sich lächerlich vor und hätte heulen können, wenn ihm die Angst nicht das Selbstmitleid ausgetrieben hätte. Er schlich zum Fenster und beobachtete die Straße. Da sah er, wie Hamid Farsi aus dem Gebäude kam und wieder zu seinem Beobachtungsposten hinter der Pappel ging.
Nassri rief Taufiq an. Dieser schwieg, als hätte er es geahnt. »Ich habe eine Nachricht für dich«, sagte er dann, »sie ist kurios, und nur du kannst entscheiden, ob sie gut für dich ist.« Noch bevor Nassri fragen konnte, worum es ging, hörte er: »Deine Frau Almas war hier. Sie hat Sehnsucht nach dir. Du sollst zu ihr kommen und von ihrem Haus aus Hamid Farsi beobachten.«
Nassri dachte nach.
»Die Idee ist gar nicht so schlecht«, sagte er dann, »sag ihr, ich komme morgen gegen Mitternacht zu ihr.«
Nassri dachte an die vielen Geschichten über kluge Frauen, die er bereits als Kind gehört hatte. Er lächelte und schüttelte den Kopf, als er sich die Absurdität vorstellte, wie er nachts seinen Verfolger Hamid Farsi beobachtete.
Auf so eine List kann nur eine Frau kommen, dachte er.
Am nächsten Abend beobachtete Nassri seinen Jäger, der bis spät in die Nacht bei der alten Pappel ausharrte.
Kurz vor Mitternacht verließ er das Haus durch den hinteren Eingang, nahm ein Taxi und fuhr in der Spätsommernacht durch die Stadt. Er dachte über sein Leben nach, während die Lichter seiner geliebten Stadt seine Seele beruhigten. Er fragte sich, ob es nicht Zeit wäre, ein völlig neues Leben anzufangen. Der erste Schritt in seinem neuen Leben wäre die Trennung von all seinen Frauen. Es würde nicht einfach und auch sehr teuer, aber mit Frauen, die er nicht liebte, wollte er nie mehr zusammen sein.
Nassri war entschlossen wie noch nie, dieses Ziel zu verwirklichen, aber er ahnte nicht, dass ihm nicht mehr viel Zeit blieb.
41.
H amid Farsi suchte verzweifelt nach Nassri Abbani. Ende Juli war er sich sicher, dass sein Feind in der Stadt war, denn drei Detektive hatten ihn unabhängig voneinander im Café Havanna auf der Port-Said-Straße, nahe dem Abbani-Gebäude gesehen.
Hamid lauerte also neben der Buchhandlung »Librairie universelle« gegenüber dem Café auf den Gockel. An einem Nachmittag sah er ihn plötzlich am Fenster sitzen. Aber Hamid war nicht geschickt genug, Abbani entdeckte ihn und nahm durch die Hintertür Reißaus.
Hamid ließ die Häuser von Nassris Frauen durch eine Detektei beobachten. Das kostete viel und immer wieder war der Alarm falsch. Einmal rief ihn ein
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