Das Geheimnis Des Kalligraphen
war es ihr Haus, von dem aus Nassri seine neue Hurerei betrieb.
Den Sturz, der eine kleine Lektion sein sollte, hatte Nassri vergessen, noch bevor man ihm den Gipsverband abnahm. Und dann hatte er voller Hintergedanken eine eiserne Wendeltreppe zur Mansarde bauen lassen.
Sie rief ihren Onkel Karam zu sich und er kam sofort, wie immer, wenn sie ihn brauchte. Er war kein richtiger Onkel, sondern ein ferner Cousin ihres Vaters, aber er war ein freundlicher Mensch, half ihr oft und verlangte nichts dafür. Sie liebte seine tiefe Stimme, und er gab ihr gerne Ratschläge unter der einen Bedingung, ihrem Mann kein Wort davon zu erzählen, weil er ihn nicht mochte.
Während ihre Eltern sie beschwichtigen wollten, stand Karam felsenfest an ihrer Seite. Er war unversöhnlich. Beim Skandal um die Frau des Kalligraphen deutete Karam so etwas wie Zuhälterei an, in die ihr Mann verwickelt sei. Aber er riet ihr, sich nichts anmerken zu lassen, denn Nassri könnte sie hinausschmeißen und dann müsse sie mit Nariman in Armut leben. Die Abbanis hätten alle Richter der Stadt auf ihrer Seite.
Nassri werde bald sterben, da sei es besser für sie, ihm gegenüber die Treue zu spielen und ihm nun, da alle seine Frauen sich als feige erwiesen hatten, ein Versteck anzubieten. Damit würde sie die Erbschaft für sich und ihre Tochter sichern.
»Ich sage es dir geradeheraus. Hamid wird ihn erwischen. Es ist eine Sache von Tagen oder Wochen. Dreimal ist er ihm in letzter Sekunde entwischt. Bis er aber stirbt, musst du alles für dich abgesichert haben.«
Almas rief also sofort Taufiq an und teilte ihm kurz angebunden mit, sie würde in der nächsten halben Stunde zu ihm ins Büro kommen. Er solle seine Mitarbeiter wegschicken, denn sie wolle mit ihm unter vier Augen sprechen, sie habe eine Idee, die sie am Telefon nicht verraten wolle.
Karam lächelte, drückte Almas fest und ging.
Zwölf Stiche in die Herzgegend hatte Hamid seinem überraschten Opfer versetzt. Jeder einzelne Stich mit dem rasierklingenscharfen Messer wäre tödlich gewesen, wie der Gerichtsmediziner bei der Obduktion feststellte. Nassri Abbani kam nicht einmal dazu, seine Pistole aus der Tasche zu ziehen, und selbst wenn, er hatte sein Leben lang nicht ein einziges Mal geschossen.
Noch viele Jahre sollte Hamid an die letzten Minuten im Leben desNassri Abbani denken. »Hamid, du bist ein Wahnsinniger«, röchelte er, »du tötest mich, obwohl ich dir nichts Böses getan habe.«
»Du Dreckschwein, und meine Frau?«, hatte ihn Hamid angeschrien. Abbani, in seiner Blutlache, hob die Hand wie ein Ertrunkener. Seine Lippen zitterten im fahlen Licht der Straßenlaterne.
Raschid Sabuni, einer der bekanntesten Rechtsanwälte in Damaskus, hatte keine Mühe, die Geschworenen und den Richter zu überzeugen, dass eine lebenslängliche Haftstrafe für diesen brutalen, vorsätzlichen Mord die unterste Grenze der Gerechtigkeit darstellte.
Nicht nur die Zahl der Stiche, alle Indizien sprachen gegen Hamid Farsi. Auch der Kaffeehausbesitzer Karam Midani belastete den Angeklagten schwer. Er habe den Kalligraphen immer wieder getroffen, und seit dem Verschwinden seiner Frau habe dieser nur ein Ziel gehabt, nämlich Abbani zu töten.
Hamid schüttelte entsetzt den Kopf. Er glaubte den Verstand zu verlieren. Er beschimpfte den Zeugen als Mitglied im Geheimbund der »Reinen« und als einen stadtbekannten Homosexuellen. Karam habe ihn auf Nassri gehetzt und ihm sogar eine Pistole angeboten. Hamid war so außer sich, dass er versuchte, den Zeugen tätlich anzugreifen. Da wurde er von zwei Polizisten gezwungen, den Gerichtssaal zu verlassen.
Seine anhaltende Respektlosigkeit dem Richter gegenüber und der völlige Mangel an Reue brachten ihm »lebenslänglich« ein.
Davon verbüßte er aber nicht einmal zwei Jahre im Damaszener Zitadellengefängnis, wo er gleich zu Beginn, zum Ärger der Familie Abbani, eine der schönsten drei Zellen bekam, die von den Insassen »Villa« genannt wurde. Er wurde verwöhnt und gehätschelt und durfte für den Gefängnisdirektor Kalligraphien anfertigen. Protest half nichts, weil der al-Azm-Clan, dem der Direktor angehörte, noch mächtiger war als der Abbani-Clan.
Nassris jüngerer Bruder Muhammad, wirr geworden durch Trauer und Wut, beauftragte über dunkle Beziehungen einen im selben Gefängnis einsitzenden Mörder, Hamid Farsi zu töten. Dieser aber wurde von dem Wärter, der die drei Zellen des Privilegierten bewachte, überwältigt. Nach drei
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