Das Geheimnis Des Kalligraphen
Detektiv an, er sei sicher, Nassri lebe nun versteckt bei seiner zweiten Frau in Salihije. Hamid eilte hin, klopfte und stürmte hinein. Die Frau fiel zu Boden. Sie tat ihm leid, aber Nassri war nirgends zu finden.
Auch bei der dritten Frau im Midan-Viertel hatte er keinen Erfolg. Und die vierte Frau ließ ihn nicht einmal zu Wort kommen, geschweige denn ins Haus. Breit stand sie da, verfluchte ihn und ihren eigenen Ehemann und schlug die Tür zu. Er hörte, wie sie hinter der verschlossenen Tür noch laut rief: »Zuhälter.«
Das schnitt ihm ins Herz.
Auch im Büro war Nassri nicht mehr erschienen. Sein Stellvertreter warnte Hamid, sollte er ihn noch einmal vor dem Büro herumschleichen sehen, würde er ihm die Polizei auf den Hals hetzen.
Hamid spürte nicht die geringste Angst vor der Polizei. Er fürchtete nur, seine Rache könnte durch sie vereitelt werden. Von dem Tag an vermied er es, allzu oft durch die Port-Said-Straße zu gehen.
Er heftete sich an Taufiqs Fersen. Das war der Rat eines alten Geheimdienstlers, und jener fuhr eines Tages mit seinem alten Citroën zu einem Gebäude am Fuß des Qassiun-Bergs. Hamid war sicher, der Mitarbeiter würde ihn ungewollt zu seinem Herrn führen, doch nirgends fand er auch nur eine Spur von Nassri. Zwei Tage und eine lange Nacht beobachtete er das Gebäude. Vergeblich.
Und dann, eine Woche später, rief ihn Karam an. Der Kaffeehausbesitzer meinte, er habe eine wichtige Nachricht für ihn.
Hamid machte sich sofort auf den Weg. Im Café ließ Karam ihn wissen, dass sich Nassri Abbani seit ein paar Tagen bei seiner vierten Frau Almas versteckt habe.
»Und woher weißt du das?«, fragte Hamid misstrauisch. Er hatte Sorge, dass der Kaffeehausbesitzer ihn hereinlegen wollte. In den letzten Wochen hatten nicht nur ein paar unfähige Detektive, sondern auch bösartige Männer mit seinen blank liegenden Nerven gespielt. Sie riefen in der Nacht an und gaben ihm eine Adresse durch, wo Nassri sich aufhalten sollte. Die Adressen waren einmal der Puff und zweimal bekannte Nachtlokale, und in allen drei Fällen machte sich Hamid lächerlich.
»Hör mal, meine Nichte Almas ist Nassris vierte Frau. Sie ist entsetzt über den Hurenbock, der keine Hure in der Stadt ausließ und nun auch noch den Saudis für viel Geld Frauen liefert.« Nassri sei zurückgekehrt und tue so, als wäre nichts passiert.
»Du kennst doch ihr Haus in der Dakakgasse«, sagte Karam, »du warst einmal bei ihr, wie sie mir erzählt hat, die Häuser dieser Gasse liegen fast parallel zu denen deiner Gasse.«
Hamid war völlig überrascht. Ja, er war einmal kurz bei der dicken Frau mit dem losen Mundwerk gewesen, aber er hätte nie gedacht, dass das Haus in der Dakakgasse Mauer an Mauer mit seinem Haus liegen könnte.
»Nassri wohnte mit meiner Nichte zuerst in der Bagdader Straße, genau in dem Haus«, setzte Karam seine Rede fort, »das später die Kalligraphieschule wurde, doch schon bald entdeckte meine Nichte, dass Nassri mit zwei Nachbarinnen schlief. Das war eine Schmach ohnegleichen für Almas, sie wollte keinen Tag länger in diesem Haus leben. Deshalb zogen sie so überstürzt in die Altstadt um. Almas hatte eine Weile Ruhe, bis Nassri deine Frau entdeckte.«
»Wie konnte er meine Frau denn sehen?«, fragte Hamid mit trockener Kehle.
»Sein Haus hat eine Mansarde, die direkt auf deinen Innenhof schaut.«
»Mansarde? Welche Mansarde? Nach drei Seiten ist unser Haus das höchste, und es umgibt uns nur der freie Himmel. Auf der vierten Seite sieht man nur eine hohe Lehmmauer ohne Fenster. Ich habe dort noch nie einen Menschen gesehen«, sagte Hamid und fand das Gespräch langsam absurd. Auch konnte er sich nicht vorstellen, dass sich Nassri, der doch wusste, dass er hinter ihm her war, ausgerechnet in seiner Nähe versteckte.
»Du siehst nichts, weil du ein anständiger Mann bist. Nicht aber Nassri. Du hältst den Blick auf den Boden, weil die Frauen der anderen für dich tabu sind. Du weißt nicht einmal, wie viele Frauen in den Häusern leben, zu denen du von deiner Terrasse aus hinunterblicken kannst. Er aber benützt ein winziges Fenster als Guckloch. Schau genau hin, wenn du heute nach Hause gehst«, sagte Karam und stand auf, weil sein Mitarbeiter ihm andeutete, er würde am Telefon verlangt.
Auch Hamid erhob sich, bedankte sich und ging gleich nach Hause. Dort angekommen, entdeckte er tatsächlich das unauffällige Fenster in der Mauer. Dort oben, höher als sein Haus, musste die Mansarde
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