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Das Geheimnis Des Kalligraphen

Das Geheimnis Des Kalligraphen

Titel: Das Geheimnis Des Kalligraphen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rafik Schami
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mehrmals täglich das Haus des Meisters auf, um der Ehefrau die Einkäufe zu besorgen und dem Meister in einer Matbakia das warme Mittagessen zu bringen. Ismail beschrieb Hamid, wie bescheiden der Meister lebte.
    Serani war so streng, dass er zehn Jahre lang keinem seiner Gesellen die begehrte Entlassungsurkunde verlieh, die bei Kalligraphen als Meisterbrief galt. Viele verließen verbittert sein Atelier und gaben den Beruf auf, andere gründeten mehr oder weniger erfolgreich ihre eigene Schreibwerkstätte und verzichteten auf die Anerkennung ihres Meisters.
    Hamid bekam nichts geschenkt. Er musste alles gründlich lernen und neben all seinen Aufgaben täglich an den Hilfsarbeiten in der Werkstatt teilnehmen, denn Serani hielt die arabische Kalligraphie für eine Gemeinschaftskunst. Er wiederholte immer, dass der Europäer seine Kunst im Alleingang ausübe, weil er glaube, er sei ein Universum für sich. Doch das sei die Einbildung der Ungläubigen. Der gläubige Mensch aber wisse, dass er nur ein Teil des Universums sei, deshalb sollte jeder der Mitarbeiter an der gerade entstehenden Kalligraphie teilhaben.
    Das waren keine schweren Arbeiten, aber sie verlangten Geduld und Ausdauer, und beide Tugenden besaß Hamid. Auch wenn er abends todmüde ins Bett fiel, wusste er, dass die Arbeit bei Meister Serani ein Paradies im Vergleich zur Schule war. Hier sprachen alle leise miteinander, und selten wurde ein Lehrling geschlagen oder beschimpft. Nur einmal hatte Hamid eine Ohrfeige vom ältesten Gesellen, Hassan, bekommen, als er das große Gefäß mit der frisch hergestellten Tinte umkippte. Hassan war anständig. Die Hand war ihm ausgerutscht, aber er verpetzte ihn nicht beim Meister. Nach der alten Rezeptur eines Alchimisten kochte er noch einmal stundenlang eine Mischung aus Gummi arabicum, Ruß und verkohlten Rosenblättern mit Wasser, siebte, dickte ein, bis die Lösung zu einem weichen Teig wurde, löste das Ganze auf, kochte noch einmal, siebte und dickte wieder ein, biseine geschmeidige nachtschwarze Tinte entstand. Das Ganze erledigte der erfahrene Geselle auch noch heimlich, damit der Meister nichts von dem Malheur erfuhr. Als Serani drei Tage später danach fragte, war die Tinte fertig und sogar mit Zitronenblüte parfümiert.
    Auch als Hamid einmal ein Schilfrohr zu Kleinholz zerschnitt, wurde ihm dies nicht nachgetragen. Hamid hatte nicht gewusst, dass dieses billig aussehende Schilfrohr drei Jahre lang in Persien bearbeitet wurde, bevor es auf den Markt kam. Meister Serani kaufte immer die teuersten Utensilien für seine Werkstatt: »Wer beim Einkauf spart, bedauert es später beim Kalligraphieren.«
    Es war eine andere Welt. Und Hamid fühlte große Dankbarkeit, wenn er hörte, was andere Jugendliche an Schmutz und Härte ertragen mussten, um einen Beruf zu erlernen. Er kam sich wie ein Prinz vor.
    Jeden Morgen schauten ihm die Schüler seiner Gasse nach, und er lächelte glücklich, weil er diesen Weg in die Hölle nicht mehr gehen musste. In der verfluchten Grundschule ließen die Lehrer weiterhin den ganzen Tag ihre Stöcke pfeifend über die Köpfe der Kinder sausen. Sie waren Riesen und ihre Schüler Winzlinge, die ihnen ohne Rechte oder Schutz ausgeliefert waren.
    Auch Hamid hatte es geliebt, die Geschichte der alten Zeit zu hören, den Koran zu rezitieren, und er war der Beste im Rechnen gewesen, doch es verging kein Tag, ohne dass ihn ein Lehrer oder ein Jugendlicher schlug. Hamid war immer klein und mager gewesen. Ein gemeiner Kerl verfolgte ihn von Pause zu Pause. Man nannte ihn Hassun , Distelfink, obwohl es keinen größeren Gegensatz zu diesem zierlichen Vogel gab als diesen Jungen. Er war ein Koloss, der auf ihn und drei weitere kleine Schüler herabsah und ihnen jeden Morgen die Brote wegnahm. Wenn sie sich wehrten, schleppte er sie nacheinander in eine dunkle Ecke, wo ihn keine Aufsicht sah, und drückte ihnen die Hoden zusammen, bis sie vor Schmerz beinahe ohnmächtig wurden. Hamid überlegte jede Nacht, wie er seinem Peiniger am nächsten Morgen ins hässliche Gesicht schlagen würde, doch sobald die Glocke zur Pause läutete, fühlte er bereits, wie die Hoden schmerzten, und rückte sein Brot freiwillig heraus.
    Zu allem Übel hatte die Schule einen guten Ruf, weshalb er seine Eltern nicht überzeugen konnte, dass sie die Hölle auf Erden war. »Das ist eine Fabrik für die Männer von morgen«, lautete die feste Überzeugung seines Vaters.
     
    Hamid betrachtete seinen Vater auf dem

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