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Das Geheimnis Des Kalligraphen

Das Geheimnis Des Kalligraphen

Titel: Das Geheimnis Des Kalligraphen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rafik Schami
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mit seiner Eleganz ein ganzes Wort.
    Der arme Hassan, dachte Hamid jetzt, ein wildgewordener Rappe traf ihn später im Stall seiner Eltern tödlich an der Schläfe. Er blätterte schnell vorwärts, bis er das Foto fand, das er in die Mitte einer Seite geklebt hatte: Meister Serani und seine Mitarbeiter bei einem Ausflug mit Picknick am Barada-Fluss. Hassan hielt seinen Schaschlikspieß wie einen Degen gegen den Fotografen. Schade, er war eine Seele von einem Menschen. Er hat diesen schäbigen Tod im Stall nicht verdient.
    Hamid blätterte zu der Stelle mit den Schwierigkeitsgraden zurück. Ein paar Seiten später hatte er ein Streitgespräch notiert, das Serani mit zwei Kollegen geführt hatte. Hamid wollte sich in die hinteren Räume der Werkstatt zurückziehen, nachdem der Laufbursche den Gästen Kaffee gekocht hatte, aber der Meister bestand darauf, dass er,sein Meisterschüler, der Diskussion beiwohnte. So blieb er in der Ecke des großen Raums sitzen und hörte dem Streit zu.
    Die Eintragung aber zeigte, dass er nicht bei der Sache war. Nur ein paar Fetzen und markante Sprüche waren im groben Sieb seiner Aufmerksamkeit hängen geblieben. Sie standen lose nebeneinander wie Kieselsteine. Hamid war in jenen Tagen verliebt. Eine hübsche Christin. Sie arbeitete als Dienstmädchen in einem großen Haus auf halber Strecke zwischen seinem Haus und dem Atelier seines Meisters. Sie war fünf oder sechs Jahre älter als er und sehr mutig. Er hatte sie ein paar Mal geküsst, und sie wartete immer hinter ihrem Fenster, bis er vorbeikam. Doch eine Woche vor diesem im Heft erwähnten Streitgespräch war sie plötzlich verschwunden. Er wusste von ihr nur den Namen: Rosa.
    »Der Koran ist schließlich auf Arabisch geschrieben«, stand da. In Klammern: Scheich Mustafa.
    »Der Koran wurde in Mekka und Medina offenbart, in Bagdad festgelegt, in Ägypten rezitiert, aber in Istanbul am schönsten geschrieben«, meinte Meister Serani.
    Die Gedankensplitter, die er noch notiert hatte, während er wegen Rosa im Ozean seiner Traurigkeit verloren war, konnte kein Mensch verstehen. Er schrieb sie damals nur auf für den Fall, dass sein Meister danach fragen sollte, aber Serani fragte nie.
    Erst später erfuhr er, dass, obschon Araber und Perser einiges für die Schrift getan hatten, die arabische Kalligraphie vieles den Osmanen verdankte. Die osmanischen Kalligraphen entwickelten die Schrift zu einer vollendeten Kunst. Sie erfanden auch mehrere neue Stile wie Diwani, Diwani gali, Tughra, Ruq’a und Sunbuli.
    Hamid fand mitten auf einer sonst leeren Seite rot unterstrichen den Satz: »Ich werde einen neuen Stil erfinden.« Als er seinem Meister damals stolz diesen Satz zeigte, schüttelte dieser nur den Kopf: »Das sind die übermütigen Sprünge eines Fohlen. Lerne erst einmal richtig zu atmen beim Schreiben. Du hechelst ja vor Aufregung wie ein Hund in der sengenden Sonne«, sagte er gutmütig.
    »Die Nähe vergrößert manchmal Nebensächlichkeiten und lässt Wesentliches übersehen«, hatte er ein paar Seiten weiter den späterverunglückten Gesellen Hassan zitiert, »so ist es kein Wunder, dass Propheten, Schriftsteller, Maler, Musiker und Kalligraphen am meisten unter ihrer Umgebung gelitten haben.«
    Wie recht der arme Kerl hatte. Hassan musste mehr gewusst haben, als er preisgab. Ein bescheidener Bauernsohn mit messerscharfem Urteil und unglücklich. Er war Junggeselle geblieben, weil er hinkte. In seiner Kindheit hatte er das rechte Bein gebrochen und irgendein Pfuscher hatte es ihm falsch gegipst.
    Hamid war gerade zwölf, als er Hassan bei einem komplizierten Ornament helfen sollte. Sie hörten an diesem Vormittag einen lauten Streit, den zwei Freunde des Meisters über die arabische Schrift führten. Serani selbst blieb neutral, gab mal dem einen, mal dem anderen höflich recht, und man merkte an seiner Stimme und seinen Worten, dass er die Debatte am liebsten abgebrochen hätte.
    Hassan nahm Partei für den Gast, der gegen die Heiligsprechung der Sprache und der Buchstaben war: »Mit denselben Buchstaben kannst du das schlimmste und das schönste Wort schreiben«, sagte er. »Und die arabischen Buchstaben können nicht von Gott erfunden sein. Sie sind voller Unzulänglichkeiten.«
    Auch diesen Satz hatte Hamid mit roter Tinte mitten auf eine leere Seite geschrieben, als hätte er damals schon geahnt, dass er die Saat eines Zweifels war, der sein Leben verändern sollte.
     
    8.
     
    H amid hatte viele Bücher über Schriften

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