Das Geheimnis Des Kalligraphen
Vertrag mit dem Patriarchen unterschrieben und die erste Vorauszahlung bekommen hatte, kehrte er in das Atelier zurück, nahm seine wenigen Utensilien, verabschiedete sich höflich und deutete an, dass er selbständig werden wolle. Serani,der zusammengesunken auf seinem Stuhl saß, murmelte kaum hörbar: »Ich weiß, ich weiß. Ich wünsche dir als Schwiegervater Glück und als dein Meister Gottes Segen.« Hamid wollte am liebsten weinen vor Trauer und seinen Meister umarmen, aber er drehte sich wortlos um und ging.
Er machte sich also selbständig und nahm die bestbezahlte Arbeit seines Lebens in der orthodoxen Kirche auf. Er gestaltete die Sprüche, wie Architekten und Kirchenleitung es wünschten, ohne auch nur eine Sekunde daran zu zweifeln, dass Christen dumm waren, weil sie an einen Gott glaubten, der seinen Sohn zur Erde schickte, ihn von ein paar ausgemergelten Juden ärgern und von den Römern auch noch umbringen ließ. Was für ein Gott war das? Wenn er an seiner Stelle gewesen wäre, hätte er den Daumen auf Palästina gedrückt und die Gegend zum tiefsten Punkt eines Ozeans gemacht.
Die Kirchenleitung war ihm gegenüber so dankbar, dass sie seine Bedingung akzeptierte, selbst nur drei Tage in der Woche in der Kirche vorzuarbeiten und dann seine Gesellen und Lehrlinge, die Steinmetze und Tischler seine vorgezeichneten Schriften, Ornamente und Arabesken in Farbe, Marmor, Stein und Holz ausführen zu lassen. An den anderen Tagen richtete er sein neues Atelier ein und suchte sich die ersten Kunden.
Die Arbeit in der Kirche dauerte zwei Jahre, und die Kirchenleitung war großzügig. Mit dem Geld kaufte Hamid sein Haus und rüstete sein Atelier aus. Er war allein in diesem reichen Viertel und sorgte bald durch seine mächtige Kundschaft dafür, dass kein Kalligraph in der Straße ihm Konkurrenz machte.
Sein Meister Serani aber boykottierte ihn, und spätestens nach dem Tod seiner Tochter ging er seinem ehemaligen Zögling, soweit er konnte, aus dem Weg. Manche sagten, der Grund liege darin, dass Hamid die Schrift nicht heilige und nicht nur für Christen und Juden arbeite, sondern auch Briefe, Todesanzeigen und sogar Badezimmer gegen Geld mit Kalligraphien ausschmücke. Die ganze Stadt sprach über die Liebesgedichte, die er für den Ministerpräsidenten auf große Tafeln geschrieben hatte. Dieser hatte mit siebzig eine zwanzigjährige Frau geheiratet, die die Gedichte des gelehrten Sufimeisters Ibn Arabiliebte. »Philosoph der Liebe« nannten die Damaszener den Dichter, der in Damaskus begraben wurde.
Von nun an konnte sich Hamid kaum noch retten vor Aufträgen aus den Ministerien und dem Parlament. Meister Serani soll ihn für ein charakterloses Genie gehalten haben, das für jeden gegen Bezahlung schreiben würde. Man erzählte aber auch, Serani meide Hamid, weil er ihn insgeheim beschuldige, am Tod seiner Tochter schuldig zu sein.
Den wahren Grund erfuhr Hamid erst bei einem Besuch des schwer erkrankten Meisters im Gefängnis. Serani hatte Krebs. Er kam, um sich zu verabschieden und um Hamid dazu zu bewegen, als Großmeister abzutreten und den Weg für einen Nachfolger freizumachen.
Der Besuch seines Meisters hatte ihn erschüttert. Nicht nur, weil dieser die Großmeister-Urkunde verlangte, sondern auch, weil der alte Mann ihm offen den Grund erklärte, weshalb er keinen Kontakt zu ihm hatte halten können: Angst.
Hamid sei zu schnell und zu laut nach vorne geprescht und habe die Reform der Schrift voller Ungeduld in die Öffentlichkeit getragen.
»Und du hattest nicht nur die Konservativen gegen dich, sondern auch alle Fanatiker. Das machte mir Angst«, gestand der Meister, »denn man kann mit den Konservativen oder Fortschrittlichen zumindest streiten, aber diese Fanatiker sprechen nicht. Sie ermorden ihre Widersacher.«
»Du wusstest von Verbrechern, die man auf mich gehetzt hat?«, fragte Hamid empört.
»Nein, ich wusste von nichts. Wissen tut man das erst, wenn es zu spät ist. Es gibt vier, fünf fanatische religiöse Gruppen, die im Untergrund agieren. Woher das Messer kommt, kann niemand wissen. Sie haben in der Geschichte mehr Kalligraphen und Denker auf dem Gewissen als Zuhälter. Da sind sie nachsichtiger.«
»Das sind doch Verrückte ... «, wollte Hamid die Ausführungen seines Meisters abtun. Serani sah ihn verzweifelt an: »Das sind keine Verrückten«, sagte er, »seit den Anfängen war es so und es wird immer so bleiben. Das, und nur das beschämt mich, weil ich selbst erkannt
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