Das Geheimnis Des Kalligraphen
Maria aus einer bekannten und sehr reichen Familie stammte. Sie war eine der ersten Frauen, die in den zwanziger Jahren in Damaskus Abitur gemacht hatten. Ihr Mann betrog sie bereits am zweiten Tag nach der Hochzeit mit der Köchin. Er gaukelte ihr aber immer wieder die große Liebe vor, so dass sie ihm verzieh. Aus Dankbarkeit dafür betrog er sie wieder. Noch mit sechzig rannte er sabbernd hinter jeder Schürze her, bis ihn die Syphilisseuche dahinraffte.
Seither lebte sie zurückgezogen. Sie war nicht einmal Mitte sechzig und sah aus wie eine Achtzigjährige.
Als Salman Sarah von den Leckereien vorschwärmte, überlegte diese laut, wie sie auch einmal an die exotischen Brote gelangen könnte.
»Vielleicht klopfe ich bei ihr«, sagte Sarah, »und erzähle ihr, ich sei sehr arm und hätte geträumt, dass sie ein großes Herz und viele Marmeladen besitze und dass ich bald sterben müsse und daher den Wunsch hätte, noch einmal zehn mit verschiedenen Marmeladen bestrichene Brote zu essen.«
Salman lachte. Faise, Sarahs Mutter, hatte das Gespräch durchs offene Fenster mitgehört. Sie kam heraus und umarmte Sarah bewegt: »Das musst du nicht tun. Morgen koche ich dir Gelee aus Rosenblättern.«
Sarah lächelte zufrieden. »Und übermorgen Quittengelee«, sagte sie, als gerade ein Polizist auf dem Fahrrad in den Gnadenhof fuhr. Er erblickte Sarah und Salman, lächelte kurz und fragte nach der Wohnung eines gewissen Adnans, der verhaftet werden sollte, weil er mehrere teure Limousinen aufgebrochen, Sitze, Radios und bei einem Auto sogar das Lenkrad ausmontiert und verkauft hatte. »Aha«, erwiderte Sarah und zeigte auf die Wohnung von Samira, Adnans Mutter, am anderen Ende des Gnadenhofs.
»Mit seinen tollen Begabungen könnte dieser Adnan ein berühmter Automechaniker oder Rennfahrer werden«, sagte Sarah. »Du spinnst, er ist bloß ein verdorbener Junge«, protestierte Salman. Adnan hatte nur bösartige Einfälle. Er packte Katzen, kleine Hunde, Ratten und Mäuse am Schwanz, drehte sie schnell wie in einem Karussell und setzte sie dann auf den Boden. Die armen Kreaturen torkelten wie besoffendavon, schwankten hin und her und manchmal erbrachen sie sich. Die Bewohner des Gnadenhofs lachten sich krumm und ermunterten ihn zu weiteren Brutalitäten. Salman fand ihn einfach nur widerlich.
Und es war Adnan, der Salman am Ende zwang, seine Muskeln zu trainieren. Es war an einem Sonntag, und Sarah wollte ihn wieder einmal an ihrem Eis lecken lassen. Sie schlenderten zum Eisverkäufer an der Kischle-Kreuzung. Sarah entschied sich für ein Zitroneneis am Stil. Sie machten kehrt und wollten nach Hause zurückgehen. Nicht weit von ihrer Gasse stand dieser widerliche Kerl mit drei anderen Jungen und grinste breit. »Wenn du Angst hast, dann lauf schnell weg. Ich komme schon klar«, flüsterte Sarah. Salman merkte, wie sie zitterte, »Ach was, die Küken mache ich fertig. Lass dich beim Eislecken nicht stören«, sagte er und fühlte, wie seine Brust vor Angeberei fast platzte.
»Segelohr, Eselsohr«, stimmte Adnan an und die anderen Jungen fielen lachend ein. Adnan hielt Sarah an der Schulter fest. Sie lutschte mit wahnsinniger Geschwindigkeit an ihrem Eis und atmete hörbar wie eine Asthmakranke.
»Nimm deine dreckigen Finger von meiner Freundin«, rief Salman aufgebracht, und bevor Adnan sich versah, traf ihn Salmans Tritt in die Hoden. Er krümmte sich, Sarah rannte weg, Salman aber wurde von den anderen Jungen an der Flucht gehindert. Der Eisverkäufer sah die Keilerei und rief laut, sie sollten aufhören, und als die Jungen nicht reagierten und weiter auf Salman eindroschen, sprang der Mann mit einem Besen auf sie zu und schlug mit aller Macht auf ihre Rücken und Hintern. Sie ließen Salman los und rannten schreiend davon.
An diesem Tag beschloss Salman, seine Muskeln wachsen zu lassen. In der Nacht träumte er, wie er Adnan, der sich Sarah wieder in den Weg stellte, mit einer Hand durch das Fenster des Gemüsehändlers im ersten Stock in den Himmel schleuderte.
Wie wenn der Himmel seine Wünsche erhören wollte, fand er kurz darauf eine über einen Meter lange Eisenstange am Straßenrand. Er nahm sie mit nach Hause. Er wusste, wie man aus einer jeden Stangeeine Hantel basteln konnte. Man goss in einen Eimer Beton, steckte die Stange hinein und ließ ihn trocknen. Dann steckte man die Stange mit dem anderen Ende in die gleiche Menge dieser Mischung aus Zement, Sand und Wasser. Beton schenkte ihm der Maurer
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