Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Geheimnis Des Kalligraphen

Das Geheimnis Des Kalligraphen

Titel: Das Geheimnis Des Kalligraphen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rafik Schami
Vom Netzwerk:
Mutter nur mitleidig an, wenn diese seine Ablehnung bedauerte.
    »Für Sahar«, sagte er leise, wie einer spricht, der sich sicher ist, »habe ich bereits einen hervorragenden Mann gefunden. Mit dem kannst du dich als Schwiegermutter schmücken.«
    Abdullah Mahaini war ein belesener und humorvoller Mann: »Ich bin den ganzen Tag damit beschäftigt, unter meinen kriegerischen neun Frauen, achtundvierzig Kindern, zehn Bediensteten und zweihundertfünfzig Mitarbeitern Frieden zu stiften. Napoleon hatte es bedeutend leichter.«
    Er war traditionell, aber offen gegenüber Neuerungen, heiratete neun Frauen, lehnte es jedoch ab, dass eine einzige seiner Frauen oder Töchter den Schleier trug. Er wiederholte, wenn einer der strengen Muslime nach dem Grund fragte, die Worte eines jungen Sufigelehrten, den er verehrte: »Gott hat die Gesichter erschaffen, damit wir sie sehen und erkennen. Das Herz macht fromm – nicht der Schleier.«
    Er erklärte seinen Frauen und Töchtern, der Schleier sei keine islamische Erfindung, sondern tausend Jahre vor dem Islam im alten Syrien erfunden worden. Nur adlige Frauen durften damals in der Öffentlichkeit Schleier tragen. Er galt als Zeichen von Luxus. Wenn eine Sklavin oder Bäuerin einen Schleier trug, wurde sie bestraft.
     
    Mahaini liebte das gesellige Leben und umgab sich gerne mit geistreichen Männern, die er zu sich einlud, mit denen er das Bad aufsuchte und auch Geschäfte machte. Zu seinen besten Freunden zählten zwei Juden und drei Christen.
    Er war begeistert von dem angesehenen, aber armen Sufigelehrten Scheich Rami Arabi, dessen Predigten er in der kleinen Salah-Moschee im Midan-Viertel Freitag für Freitag interessiert verfolgte. Er verzichtete deswegen auf das pompöse Gebet unter der Leitung des Großmuftis von Damaskus in der nahe gelegenen Omaijaden-Moschee.
    So wurde der dürre, kleine Scheich der Schwiegersohn des großen Mahaini und später der Vater von Nura.
     
    Bei den Großeltern väterlicherseits verstand sich die Großmutter nicht mit Nuras Mutter, während der Großvater seine Schwiegertochter abgöttisch liebte. Er war menschenscheu und blieb im wahrsten Sinne des Wortes versteckt, und wenn es nicht unbedingt erforderlich war, machte er keine Besuche. Nuras Mutter verwöhnte ihn dann immer sehr. Seine Frau hingegen, Nuras Großmutter, war eine energische alte Frau, die sich oft bei ihnen blicken ließ. »Ich komme nur, um die kluge und gesegnete Nura zu besuchen«, rief sie ungeniert aus, »die Dienerschaft kann mir gestohlen bleiben. Und je schneller ich einen anständigen Kaffee bekomme, umso schneller verschwinde ich wieder.«
    So schnell kochte Nuras Mutter für niemand anderen Kaffee.
    Großvater Mahaini kam jeden Freitag nach dem feierlichen Gebet zum Mittagessen. Nur am Freitag könne er ruhig schlafen, behauptete er, denn dann habe er keine Fragen mehr.
    Als ob eine Fee dem jungen Gelehrten verraten hätte, welche Fragen während der Woche im Kopf des alten Händlers Mahaini umherschwirrten, gab er von der Kanzel aus Antworten auf genau diese Fragen. Sahar, Nuras Mutter, soll später einer Nachbarin gesagt haben: »Mein Mann hätte besser daran getan, wenn er statt meiner meinen Vater geheiratet hätte. Sie hätten sich prächtig verstanden.«
    Das stimmte nicht ganz, denn die zwei Freunde stritten oft, sobald sie allein waren. Mahaini ermahnte den jungen Scheich, er solle seinen Zuhörern nicht Jahrzehnte, sondern nur Monate voraus sein. Soschnell könne ihm kein Mensch folgen. So mache er es seinen Feinden leicht, und statt Mufti von Syrien zu werden, müsse er in dieser kleinen verfallenen Moschee Reden vor Analphabeten und Schwerhörigen halten.
    »Ach, was du nicht sagst. Bist du nun Analphabet?«
    »Wie bitte?«, rief der reiche Händler laut und lachte.
    »Die Damaszener«, sagte Nuras Vater, »schnarchen laut, während der Zug der Zivilisation an ihnen vorbeifährt. Man kann anstellen, was man will, ein Schnarchender erschrickt immer wenn man ihn aufweckt«, fügte er hinzu und winkte verzweifelt ab.
    Und nach jedem Treffen tadelte sich der große Mahaini, weil er den aufrichtigen gelehrten Schwiegersohn so hartherzig kritisiert hatte. Scheich Rami Arabi dagegen ging oft mit dem Vorsatz ins Bett, dem Rat des klugen Mahaini zu folgen und den Leuten die bittere Medizin nicht eimer-, sondern löffelweise einzuflößen.
     
    Jahre später erinnerte sich Nura an ein Erlebnis, das ihr in seiner Schlichtheit ein Sinnbild war für die tiefe

Weitere Kostenlose Bücher