Das Geheimnis Des Kalligraphen
stolpern und zu Boden fallen ließ. Sein Toupet flog ihm nach und erschreckte den Maurer. Der dachte für einen Augenblick, er hätte, wie im Indianerfilm, mit einer Ohrfeige den Leiter der Schule skalpiert.
Der Direktor fing an zu jammern, doch Ibrahim versetzte ihmTritte in den Bauch und hielt dabei den rechten Fuß des Mannes in der Hand, so als würde er mit seinen Tritten einen Sack mit Baumwolle stopfen.
Der Direktor flehte ihn an, seinen Fuß loszulassen. Er habe nie bezweifelt, dass Ibrahim ein guter Christ sei und er habe Zahnschmerzen.
»Wo ist der Hurensohn, der meinen Girgi misshandelt?«
Schüler strömten aus den Klassen, in denen der Unterricht wegen des Krachs unterbrochen worden war.
»Kudsi ist auf der Toilette ... auf der Toilette hat er sich versteckt«, sagte ein aufgeregter Schüler dem Maurer, als dieser gerade seinen Sohn entdeckte, der ihn blass und verlegen anlächelte. Der Vater stürmte, gefolgt von einer Kinderschar, zu den Toiletten. Zunächst hörte man bis in den Schulhof mehrere Schläge und dann Lehrer Kudsi um Gnade bitten und die Sätze wiederholen: »Sie sind ein guter Christ ... ja, Sie sind ein guter und gläubiger Katholik, nein, Girgi ist ein braver Schüler und ich ... «, und dann trat Stille ein.
Der Vater kam verschwitzt in den Hof und rief in die Runde: »Wer es wagt, Girgi anzufassen oder zu behaupten, wir seien keine guten Katholiken, wird auch ein solches Fest erleben.«
Seit diesem Tag hatte Girgi Ruhe. Doch das war nur einer der Gründe, weshalb Salman Girgi beneidete, der andere Grund war, dass dieser blasse Junge, dessen Vater auch bettelarm war, immer Geld in der Tasche hatte. Er kaufte in den Pausen immer etwas Leckeres beim Schulkiosk und schleckte, knabberte, saugte und labte sich an all diesen bunten Dingen und ließ keinen etwas probieren.
Salman bekam nicht ein einziges Mal Geld von seinem Vater, nicht einmal wenn dieser betrunken war.
Auch die Nachbarn hatten wenig Geld. Wenn Salman ihnen half, so gaben sie ihm höchstens Obst oder trockene Früchte. Einzig Schimon, der Gemüsehändler, zahlte für alle Dienste, die ihm Salman leistete. Doch der brauchte ihn nur dann, wenn er zu viele Bestellungen hatte, die ausgeführt werden mussten. Der Lohn war gering, aber es gab reichlich Trinkgeld, deshalb ging Salman öfter zu Schimon, als dieser ihn brauchen konnte.
Bei Hochzeiten und anderen Feierlichkeiten konnte Salman einen ganzen Tag Gemüse- und Obstkörbe austragen und sich ein paar Piaster verdienen. Und wenn er eine Pause im Laden machte, konnte er auf einer Gemüsekiste sitzen und beobachten, wie Schimon sein Gemüse verkaufte und dazu kostenlos seine Ratschläge mitgab.
Schimon kannte sich – im Gegensatz zu seiner Frau – in der Küche so gut aus wie der beste Koch. Sie war eine kleine blasse Person, die später an einer Magenblutung starb. Sie aß wenig und lief den ganzen Tag schlecht gelaunt und unruhig in ihrer Wohnung hin und her. Schimon, der sie liebte, erzählte einmal, dass seine Frau irgendetwas suche, das sie verloren habe, jedoch keinem verrate, was es sei. Aber sie suche es seit dem Tod ihrer Mutter den ganzen Tag und gehe abends mit dem festen Vorsatz ins Bett, die Suche am nächsten Tag fortzusetzen.
Die Frauen, die Gemüse bei Schimon kauften, wollten oft seinen Rat hören. Er wusste genau Bescheid, welches Gemüse, welche Gewürze und Kräuter zu welcher Jahreszeit Männer anregen und welche sie beruhigen. Tomaten, Möhren, Feigen und Bananen, Dill, Pfefferminze und Salbei empfahl er zur Beruhigung der Männer. Ingwer, Koriander, Pfeffer, Artischocken, Granatapfel und Aprikosen sollten sie beleben. Und immer wieder empfahl er den Frauen, sich mit Neroliöl zu parfümieren, das sie selbst aus den Blüten der Bitterorange destillieren konnten.
In der Regel erntete er Dank, weil die Wirkung nicht lange auf sich warten ließ. Doch kam es auch vor, dass ein Mann überhaupt kein erotisches Interesse mehr zeigte. Einmal hörte Salman eine enttäuschte Frau sagen, ihr Mann sei noch schlaffer geworden. Schimon hörte gespannt zu. »Dann hat dein Mann eine verkehrte Leber«, erklärte er und empfahl ihr ein Gemüse, das die Leute normalerweise beruhigte, deren Leber nicht »verkehrt« war. Nicht selten gab er den Frauen »die Korrektur« kostenlos.
Salman hatte keine Ahnung, was eine »verkehrte« Leber sein sollte, aber viele Nachbarinnen waren begeistert.
Manchmal, wenn es im Laden nichts zu tun gab und Schimon etwas Ruhe
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