Das Geheimnis Des Kalligraphen
Freundschaft zwischen ihrem Vater und dem Großvater Mahaini. Eines Tages reparierte ihr Vater eine kleine Kiste für Nuras Spielzeug. Da kam der Großvater zu Besuch und schien wie immer brennende Fragen auf dem Herzen zu haben. Nuras Vater aber schraubte und hämmerte, ohne den alten Mann zu beachten, der auf dem Sessel unruhig hin und her rutschte.
Als der anfing, giftige Bemerkungen über die Vergeudung der Zeit mit Kinderkram zu machen, stand der Vater auf, verschwand in sein Arbeitszimmer und kehrte mit einer Schere und zwei Bögen Papier zurück. »Kannst du eine Schwalbe falten, die auch schweben kann?«, fragte er seinen Schwiegervater liebevoll.
»Bin ich ein Kind?«, knurrte dieser.
»Das würde ich mir und dir wünschen«, sagte Nuras Vater und widmete sich wieder dem Scharnier der Kiste. Ihre Mutter brachte gerade den Kaffee, den sie für ihren Vater gekocht hatte, und blieb wie erstarrt an der Tür stehen. Sie staunte nicht wenig, als der alte Mann lächelte, sich auf den Boden kniete und anfing das Papier zu falten.
Es war Nuras erste Papierschwalbe, die langsam ihre Runden drehte,manchmal aber auch in einem der Bäume hängen blieb oder kopfüber zu Boden stürzte, wenn Nura sie vom ersten Stock segeln ließ.
Nuras Elternhaus war sehr ruhig, trotz der Nähe zur Hauptstraße. Alle Geräusche erstarben in dem langen dunklen Korridor, durch den man von der Gasse aus in den Innenhof und wieder unter freien Himmel gelangte.
Es war ein kleiner schattiger Innenhof, dessen Boden mit Ornamenten aus buntem Marmor geschmückt war, die sich auch auf den Fußböden der umliegenden Räume fortsetzten. Die Hofmitte bildete ein kleiner Springbrunnen, dessen plätscherndes Wasser musikalische Arabesken für die Damaszener Ohren bildete. Nichts hörten sie lieber in den heißen Monaten des Jahres.
Ihr Vater saß manchmal lange mit geschlossenen Augen am Brunnen. Anfangs dachte Nura, er würde schlafen, aber da täuschte sie sich. »Das Wasser ist ein Teil des Paradieses, deshalb darf keine Moschee darauf verzichten. Wenn ich hier sitze und das Plätschern höre, kehre ich zurück zu meinem Ursprung, in den Bauch meiner Mutter. Oder noch weiter bis zum Meer, und ich höre seine Wellen, dem Herzschlag meiner Mutter gleich, gegen die Küste schlagen«, sagte er ihr einmal, als sie neben ihm saß und ihn lange beobachtet hatte.
Eine Treppe führte zum ersten Stock. Das Flachdach darüber war mit einem schönen schmiedeeisernen Geländer versehen. Der größte Teil des Daches wurde zum Trocknen der Wäsche genutzt. Auch Früchte, Gemüse und vor allem die diversen Marmeladen wurden hier unter der sengenden Sonne getrocknet. Etwa ein Viertel der Fläche war als große lichte Mansarde ausgebaut, die Nuras Vater als Schreibbüro diente.
Die Toilette war eine winzige Kammer unter der Treppe. Wie viele arabische Häuser besaß das Haus kein Bad. Man wusch sich am Brunnen oder in der Küche und badete wöchentlich im nahe gelegenen Hammam.
Am schönsten fand Nura ihr Elternhaus im Sommer, denn sobald der
Innenhof am Nachmittag schattig wurde und ihre Mutter vom nachmittäglichenKaffee bei der Nachbarin Badia zurückkehrte, spritzte sie die Fliesen und Pflanzen mit Wasser und wischte den marmornen Boden, so dass er glänzte und seine bunten Farben leuchteten.
»Jetzt ist der Teppich der Kühle ausgebreitet, jetzt kann der Abend beginnen«, sagte ihre Mutter jeden Tag gut gelaunt. Es war ein Ritual. Sie zog ein frisches einfaches Hauskleid an und drehte den Hahn des Springbrunnens auf. Das Wasser sprühte aus den kleinen Löchern in die Höhe und fiel geräuschvoll ins Becken, in das die Mutter im Sommer eine große Wassermelone legte. Sie holte einen Teller mit salzigem Knabberzeug und setzte sich an den Springbrunnen. Bis der Vater von der Moschee kam, wurde die Melone kühl und schmeckte erfrischend. Und bis dahin hielt die gute Laune der Mutter an. Sobald jedoch ihr Mann kam, wurde sie steif und kalt. Überhaupt herrschte eine eisige Kälte zwischen den Eltern. Oft sah Nura, wie andere Paare sich umarmten, scherzten oder sich gar, wie bei der Nachbarin Badia, küssten. Auch staunte sie, wie offen Frauen in ihren Kaffeerunden über ihre intimsten Betterlebnisse sprachen. Sie gaben sich Tipps und erläuterten die Tricks, mit denen sie ihre Männer verführten und sich selbst auch etwas Genuss verschafften. Sie berieten sich über Wäsche, Getränke und Parfums und schwelgten in Beschreibungen aller Arten von
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