Das Geheimnis Des Kalligraphen
Michail. Salman verwendete für die erste Seite den rostigen Eimer, den er hinter dem Hühnerstall fand. Leider konnte er nirgends einen ähnlichen Eimer für die andere Seite auftreiben. Nach langer Suche entschied er sich für eine alte, zerbeulte zylindrische Blechdose.
Als alles getrocknet war, sah die Hantel ziemlich komisch aus, auf der einen Seite hing ein zylindrischer Betonklotz, auf der anderen Seite eine merkwürdige Form, die einer zerquetschten Wurst ähnelte. Salman war das egal. Ihm imponierte die Idee, die fast zehn Kilo schwere Hantel zu stemmen. Das war jedoch schwierig, denn die zylindrische Seite war um mehr als ein Kilo leichter als die Wurstseite. So konnte Salman die Stange nur ein paar Sekunden hochstemmen, dann kippte er seitlich weg. Und das Gerät fiel krachend zu Boden. Sarah schaute dem Ganzen belustigt zu.
Salman trainierte weiter, doch immer mit demselben Ergebnis. Einmal fand ihn Sarah, wie er auf dem Boden lag und die Decke anstarrte. Das Gewicht lag schief hinter seinem Kopf.
»Von diesem Zeug kriegst du keine Muskeln«, sagte sie, »höchstens lernst du seitlich zu gehen wie ein Krebs und zu stürzen wie mein Vater, wenn er besoffen ist und das Bett sieht.« Salman zerschlug die Enden mit einem Hammer und brachte die Stange zum Alteisenhändler. Der wog sie und gab ihm ganze dreißig Piaster.
»Sechs Mal Eis«, flüsterte Salman und pfiff vor Freude über seinen Reichtum. Drei Eistüten schenkte er Sarah. Ihr verliebter Blick ließ seine Brustmuskeln wachsen. Er konnte es genau spüren.
5.
D as Midan-Viertel liegt südwestlich der Altstadt von Damaskus. Von hier aus brachen die Pilgerkarawanen nach Mekka auf, hier wurden sie auch bei ihrer Rückkehr empfangen. Es gibt deshalb viele Moscheen, Läden für Pilgerbedarf, Hammams und Großhändler für Weizen und andere Getreide an der breiten Hauptstraße, die den Namen des Viertels trägt: Midan-Straße. Um diese lange Straße verästelten sich viele kleinen Gassen. Die Aijubigasse ging von der belebten Hauptstraße ab, hatte nur vier Häuser und ein großes Lager für Anissamen. Der Lagereingang lag jedoch in der Parallelgasse.
Nura liebte den süßlichen Duft, der sie an Bonbons erinnerte.
Die Aijubigasse war nach der großen Sippe benannt, die einst die vier Häuser bewohnte und deren Oberhaupt Samih Aijubi nach dem Aufstand von 1925 gegen die französischen Besatzer von der Polizei gesucht wurde. Er flüchtete samt Familie nach Jordanien, wo er den Schutz der Engländer genoss. Später, bei der Gründung des Königreichs von Jordanien, wurde er Privatsekretär des Königs und Spion der britischen Krone im Herrscherpalast. Er wurde Jordanier und kehrte nie wieder nach Damaskus zurück.
Kurz nach Aijubis Flucht kaufte ein reicher Händler namens Abdullah Mahaini die Häuser für wenig Geld. Mahaini, ein reicher Mann, dessen Vorfahren im 17. Jahrhundert aus Mittelsyrien gekommen waren und sich hier im Midan-Viertel niedergelassen hatten, handelte in seinen über das ganze Land verstreuten Filialen mit Textilien, Edelhölzern, Leder, Waffen und Baustoffen. Er besaß Vertretungen einer holländischen Elektrofirma, eines deutschen Nähmaschinenherstellers und eines französischen Autobauers.
Das kleine Haus am Ende der Sackgasse war ein Schmuckstück der Architektur und der Lebenskunst im alten Damaskus. Mahaini schenkte es seiner Tochter Sahar, Nuras Mutter, als Hochzeitsgabe. Die drei anderen Häuser verkaufte er mit großem Gewinn. Anders als Mahainis erste Frau, die ihm vier Söhne schenkte, schien die zweite, Sahars Mutter, nur Mädchen im Bauch zu tragen. Acht brachte sie gesundzur Welt, und keine einzige wollte der Händler länger als nötig durchfüttern. Nach dem fünfzehnten Lebensjahr sollte ein Ehemann für sie sorgen. Manche Nachbarn lästerten, dass ihm nur der Altersunterschied zwischen seinen Töchtern und den sieben Frauen peinlich war, die er im Laufe der Jahre heiratete und die immer jünger wurden, je älter der reiche Mahaini wurde.
Er wohnte bis zu seinem Tod in einem Palast nahe der Omaijaden-Moschee. Die Anwärter für seine Töchter gaben einander die Klinke in die Hand, denn eine Tochter von Mahaini heiraten zu dürfen glich einem Gewinn in der Lotterie.
So auch bei Sahar, die, wie die meisten seiner Töchter, nicht lesen konnte, aber sehr hübsch war. Viele Männer hielten um ihre Hand an, aber Mahaini schickte alle Händler und Schneider, Apotheker und Lehrer weg. Er lächelte Sahars
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