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Das Geheimnis Des Kalligraphen

Das Geheimnis Des Kalligraphen

Titel: Das Geheimnis Des Kalligraphen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rafik Schami
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Kinder – aber nur Mädchen, und alle sechs Mädchen schlugen nach ihr. Kein Sohn, an dem er seine Freude hätte haben können. Diese Ehe war seines Vaters größter Irrtum. Mit diesem Gedanken schlief Nassri Abbani jede dritte Nacht bei Lamia ein, nachdem er seine Pflicht getan hatte. Glücklich war er immer nur in den letzten Monaten ihrer Schwangerschaften, denn dann durfte er sie nicht berühren. Ein Verbot, dem er gerne nachkam.
     
    Nassri Abbani hatte die Gewohnheit, nach einem leichten Frühstück erst einmal ein Café aufzusuchen, dort einen süßen Mokka zu trinken und die Zeitung zu lesen, danach schlenderte er durch den Suk. Im Vorbeigehen gab er seine Bestellungen auf, jeweils mit der Adresse derjenigen seiner drei Frauen, bei der er die kommende Nacht verbringen wollte. Die Gemüse-, Fisch-, Gewürz- und Süßigkeitenhändler, Bäcker und Metzger erledigten gewissenhaft seine Wünsche und lieferten immer die beste Ware, denn Herr Abbani war bekannt für seine Großzügigkeit. Er feilschte und überprüfte nicht. Er zahlte. Auch vergaß er nie, reichlich Trinkgeld für die Laufburschen zurückzulassen.
    Nassri Abbani trug immer feine europäische Anzüge, und da es in Damaskus oft warm war, besaß er mehr helle Anzüge aus feinem Leinen und Damaszener Seide als solche aus dunklem, englischem Stoff. Er trug Seidenhemden und italienische Schuhe und steckte täglich eine frische Nelke oder Rose ins Revers. Das einzig Arabische an seinem Aussehen waren seine orientalisch anmutenden Krawatten mit Arabesken. Außerdem besaß er eine ganze Kollektion von Spazierstöcken mit silbernem oder goldenem Knauf.
    Er wurde immer Nassri Bey gerufen. Bey oder Pascha waren osmanische Ehrentitel, die in Damaskus ein Relikt der Vergangenheit waren ohne jedweden realen Wert, aber sie umgaben den Träger mit der Aura adliger Abstammung, denn nur Adlige, die dem osmanischen Sultannahestanden, bekamen von ihm diesen unsichtbaren, aber hörbaren Orden.
    Nassri Abbani war sehr stolz und sprach trotz der Freundlichkeit aller ihm gegenüber kaum mit jemandem, außer mit dem Apotheker Elias Aschkar, dessen medizinische Kenntnisse die der Ärzte weit übertrafen. Aschkars moderne Apotheke lag im neuen Stadtviertel Salihije in der Nähe von Nassris Büro und nicht weit vom Haus seiner zweiten Frau Saide, unmittelbar neben dem Modehaus des berühmten Albert Abirasched auf der belebten König-Fuad-Straße, die nach dem Suez-Krieg 1956 in Port-Said-Straße umgetauft wurde. Mit dieser Umbenennung sollte der Widerstand der Bevölkerung der ägyptischen Hafenstadt Port Said gegen die englisch-französisch-israelische Invasion geehrt werden. Nassri Abbani fand die Begründung lächerlich und sprach bis zum letzten Tag seines Lebens von der König-Fuad-Straße.
    Nassri Abbani besuchte den Apotheker fast jeden Morgen, bald munkelte man über geheime Mixturen, die er dort erhielt, um seine unendliche Lust auf Frauen körperlich unversehrt durchzustehen.
    Gegen zehn Uhr – manchmal auch später, aber niemals früher – betrat Nassri Abbani sein großes Büro im ersten Stock des prächtigen modernen Hauses, das ihm gehörte. Das Erdgeschoss teilten sich ein großes Elektrogeschäft und die Air France. Im zweiten Stock residierte die Zentrale des persischen Teppichhandels. Firmen und Geschäfte zahlten beachtliche Mieten, denn die König-Fuad-Straße war die Hauptader der modernen Stadt mit den besten Hotels und Restaurants, Buchhandlungen, Pressebüros, Import-Export-Geschäften, Kinos und teuren Modeläden, die sich damit brüsteten, für ihre Modeschauen Haute Couture aus Paris zu besorgen. Nassris Büro im ersten Stock hatte neben einer Küche, einer modernen Toilette und einem Lager für Archiv und Material zwei Räume. Das eine Zimmer war groß und hell, mit einem Fenster zur Straße hin, und war wie ein Salon eingerichtet: Zwei Sofas aus dunklem Holz, überzogen mit rotem Samt, ein niedriger Tisch und mehrere herrschaftliche Sessel beherrschten den Raum und ließen nur eine kleine Ecke frei für einen zierlichen Tisch mit Schreibunterlage und Telefon.
    Über einen schmalen Gang erreichte man den zweiten, ebensogroßen, aber fensterlosen Raum, der nur aus Arbeitstischen und mit Ordnern gefüllten Regalen zu bestehen schien. Dort saß der langjährige Mitarbeiter Taufiq mit zwei älteren Schreibern und drei jungen Helfern.
    Taufiq war nicht älter als Nassri, doch er schien durch seine magere Figur, die gebeugte Haltung und die früh

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