Das Geheimnis Des Kalligraphen
verkaufen wollte, winkte Taufiq ab. »Jetzt müssen wir erst recht große Flächen kaufen. In fünf Jahren hast du das Fünfhundertfache.«
»Meinetwegen«, sagte Nassri, war aber nicht wirklich überzeugt. Fünf Jahre später waren die Grundstücke im neuen Abu-Rummane-Viertel tatsächlich die teuersten der Stadt. Taufiq berechnete den Gewinn auf sechshundertfünfzig Prozent.
Wenn Nassri morgens das Büro betrat, fragte er Taufiq freundlich: »Gibt es was Neues?«, und dieser antwortete jeden Morgen: »Ich komme gleich zu dir, Nassri Bey.« Dann winkte er dem Laufburschen, er solle vom nahe gelegenen Café zwei Mokka holen, einen sehr süßen für den Herrn und einen ohne Zucker, aber mit viel Kardamom für ihn selbst.
Und beim Kaffeetrinken erklärte Taufiq knapp und präzise alle Entwicklungen, wissend, dass sich sein Chef sehr schnell langweilte. In genau sieben Minuten waren alle Finanzbewegungen, Exporte, Mieten und Reparaturen der vielen Häuser und alle neuen Baugrundstücke dargestellt.
»Dann ist ja alles in Ordnung«, sagte Abbani geistesabwesend, auch wenn der Bericht einmal negative Zahlen enthielt.
Anschließend telefonierte er eine Stunde lang mit seinen Freunden, und es verging kaum eine Woche, ohne dass er ein Mittagessen mit einem der mächtigen Männer in seinem Lieblingsrestaurant »al Malik« in der Nähe des Parlaments verabredete.
»Beim Essen kann ich unsere Wege gut ebnen«, sagte er seinem Geschäftsführer, und dabei übertrieb er nicht. Nassri besaß Charme undwusste über die Welt, seine Mitmenschen und über den aktuellen Tratsch Bescheid, und das beeindruckte seine Gäste. Selbstverständlich durften sie nie zahlen, nur genießen. Der Koch kam aus Aleppo, und wenn eine Küche mit ihren Düften und Kompositionen die Damaszener Küche übertraf, so war das die der größten Stadt im Norden.
Wenn er niemand einladen konnte, ging er allein zum Essen. Und nur an solchen Tagen wagte der Restaurantbesitzer, zwei Worte mit dem vornehmen Herrn zu wechseln.
Nassri Abbani mochte mittags kein gemeinsames Essen mit Frau und Kindern, abends nahm er es hin.
Nach dem Essen machte sich Nassri auf den Weg zu seiner Lieblingshure Asmahan. Sie wohnte in einem kleinen Haus nicht einmal hundert Schritte vom Restaurant entfernt. Asmahan freute sich über ihn, weil er immer in der Mittagszeit kam, wo keiner ihrer vornehmen Freier für sie Zeit hatte. Nassri scherzte mit ihr, und sie fand ohne Heuchelei großen Gefallen an seinem Humor und lachte Tränen. Dann schlief er mit ihr, hielt eine halbe Stunde lang seine Siesta, schlief noch einmal mit ihr, duschte, zahlte und ging.
Manchmal dachte er beim Hinausgehen, dass die junge Hure zu willig und zu mechanisch alles über sich ergehen ließ, und er wünschte sich mehr Leidenschaft. Erst Jahre später sollte er durch Zufall darauf kommen, was Asmahans Herz für ihn einnehmen konnte. Aber sonst hatte sie alles, was er liebte: ein wunderschönes Gesicht mit blauen Augen und blonden Haaren, einen betörenden Körper wie aus Marmor und eine Zunge, die nur Honig hervorbrachte.
Und das bot ihm keine seiner drei Frauen.
11.
A n einem regnerischen Januartag des Jahres 1952 betrat Nassri Abbani das Atelier des Kalligraphen Hamid Farsi. Er war angenehm überrascht von der Sauberkeit des Ladens. Er war noch nie bei einem Kalligraphen gewesen und hatte sich vorgestellt, er würde auf einen alten Herrn mit Bart und schmutzigen Fingern treffen. Hier aber saß ein schlanker, junger, elegant angezogener Mann hinter einem kleinen Tisch aus Walnussholz. Nassri lächelte, grüßte, schüttelte seinen Regenschirm aus und stellte ihn in eine Ecke neben das Schaufenster.
Nassri dachte plötzlich, dass er viel zu unvorbereitet in den Laden gekommen war, denn er hatte bis dahin noch nie eine Kalligraphie bestellt. Er sah sich um. Überall hingen die schönsten Schriften, Gedichte, Weisheiten und Koransuren. Was er wollte, fand er jedoch nicht.
»Fertigen Sie auch Spezialwünsche an?«, fragte Nassri. »Selbstverständlich, mein Herr«, erwiderte der Kalligraph leise. »Auch diskret? Es geht um ein Geschenk für eine hohe Persönlichkeit.«
»Alles, was in schöner Schrift geschrieben werden soll, solange sich die Worte nicht gegen Gott und seinen Propheten richten«, antwortete der Kalligraph routiniert. Er wusste in jenem Augenblick bereits, dass er von dem wohlhabenden und wohlriechenden Mann jeden Preis verlangen konnte.
»Es ist ein Spruch für unseren
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