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Das Geheimnis Des Kalligraphen

Das Geheimnis Des Kalligraphen

Titel: Das Geheimnis Des Kalligraphen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rafik Schami
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Staatspräsidenten«, sagte Nassri und nestelte aus seiner Tasche einen Zettel, auf den Taufiq geschrieben hatte: »Für seine Exzellenz Adib Schischakli! Führe unsere Nation zum Sieg.«
    Der Kalligraph las die Zeilen. Sie gefielen ihm offenbar nicht. Er wiegte den Kopf hin und her. Nassri spürte das Unbehagen des Mannes: »Das ist nur eine Andeutung, in welche Richtung es gehen soll. Sie können besser beurteilen und formulieren, wie und was man einem solchen großen Mann schreibt.«
    Hamid Farsi atmete erleichtert auf. Ein Mann von Format, dachteer, und seine Vorschläge kamen prompt: »Ich würde oben in Gold den Namen Gottes und seines Propheten als Sterne anbringen, darunter in Rot den Namen unseres Präsidenten und darunter in leuchtendem Grün: Du bist von Gott und seinem Propheten auserwählt als Führer dieser Nation.« Der Kalligraph machte eine Pause. »Wie ich hörte, ist er sehr gläubig, und damit wäre der Spruch in seinem Sinne und liest sich nicht wie ein Befehl. Hier äußern Sie höflich eine Vermutung, einen Wunsch, dass Gott ihn zum Regieren bestimmt hat. Und das gefällt allen Herrschern.«
    »Und was, wenn nicht Gott ihn damals auserwählt hat zu putschen?«, scherzte Nassri, um die Kälte zu vertreiben, die er spürte.
    »Dann hatten CIA oder KGB die Finger im Spiel, aber das können wir nicht schreiben, nicht wahr?«, sagte der Kalligraph und verzog keine Miene. Nassri lachte laut und fühlte sich einsam.
    Hamid Farsi zeigte das edle Papier und den vergoldeten Bilderrahmen, den er für diesen Spruch wählen würde. Nassri war begeistert.
    Der Kalligraph war damit einverstanden, alles andere liegen zu lassen und den Auftrag innerhalb einer Woche zu erledigen. Er nannte den Preis, den er sehr hoch angesetzt hatte, doch Nassri lächelte. »Halten wir es so: Ich frage Sie nicht nach dem Preis und Sie machen das Beste für mich. Einverstanden?«, fragte er und streckte die Hand aus, weil er niemals eine Ablehnung seines großzügigen Angebots erwartete.
    »Einverstanden«, erwiderte Hamid leise. Nassri staunte, dass der Mann nicht einmal lächelte oder sich für den Auftrag bedankte. Ein seltsamer Kerl. Taufiq hatte ihm geraten, dem Präsidenten ein Geschenk zu machen, um die große Anzahl Maschinen, die er importieren wollte, am Zoll vorbeizuschleusen, wodurch sich der Gewinn um dreihundert Prozent erhöhen würde. »Seit dem Putsch geht nichts ohne den Präsidenten«, hatte Taufiq gesagt, »und dieser liebt Kalligraphien, säuft sich jeden Tag die Hucke voll, schaut stundenlang Hitlerfilme an und mimt vor dem Volk den Gläubigen.« Nassri wunderte sich über diesen teuflischen Mann, der so viel wusste, als hätte er seinen eigenen Geheimdienst.
    Und nach Taufiqs Meinung war Farsi der beste Kalligraph in Damaskus. Er wisse, Farsi sei teuer, unnahbar und arrogant, aber was er schreibe, sei immer ein einmaliges Kunstwerk. Und vor allem sei er zuverlässig. Das Geschenk müsse zeitlich genau platziert werden. In zwei Wochen würde das Schiff mit den Maschinen im Hafen von Latakia im Norden einlaufen. Und bis dahin brauche er die Zustimmung des Präsidenten. »Ein Anruf von ihm genügt, und der Handelsminister rennt mir voraus, um diese idiotischen Zollbeamten an die Kandare zu nehmen, bis unsere Lastwagen die Maschinen aus dem Hafen gebracht haben.«
    Taufiq war ein Teufel und das Teuflischste an ihm war sein müdes Engelsgesicht.
    Nassri sah aus dem Fenster. Der Regen hatte aufgehört, und plötzlich erinnerte er sich an die zusätzliche Bitte, die das Geschenk vollenden sollte.
    »Noch etwas«, sagte er, bereits in der Tür stehend. »Können Sie mir auch noch den Begleitbrief mit Ihrer schönen Schrift schreiben? In meinem Namen? Es wäre geschmacklos, wenn ich mit meiner Hühnerschrift ... «
    »Sicher kann ich das, aber ich brauche Ihren vollen Namen und Ihre Adresse, damit ich den Brief mit einem edlen Briefkopf versehen kann, den kein Sekretär und keine Vorzimmerdame zurückhalten wird«, sagte Hamid und schob Nassri ein leeres Blatt Papier hin. Als dieser Namen und Adresse notiert hatte, wusste Hamid Farsi, dass der elegante Herr nicht übertrieben hatte.
    Draußen schien mittlerweile die Sonne. Nassri atmete erleichtert auf. Der Kalligraph war ein tüchtiger und intelligenter Geschäftsmann, aber sein Mundgeruch war nicht zum Aushalten. Nassri erinnerte sich an den Geruch der Raubtiere in einem Zirkus, den er mit seinem Vater besucht hatte. Da der Zirkusdirektor seinen Vater verehrte,

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