Das Geheimnis Des Kalligraphen
durfte er in Begleitung eines Mitarbeiters ganz nah an den Käfigen der Raubtiere vorbeigehen. Die Käfige stanken schwer nach Urin, das war schlimm genug. Aber wenn ein Tiger, ein Löwe oder eine Hyäne brüllte, entstand eine stinkende Wolke, die Nassri beinahe erstickt hätte.
Bereits nach einer Woche überraschte ihn Taufiq am frühen Morgen mit der Kalligraphie, die er persönlich abgeholt und bezahlt hatte. Sie war viel schöner, als Nassri es sich vorgestellt hatte. Ein grandioses Ornament umschlang die Schrift und verlieh ihr etwas Sakrales.
»Ich glaube, jetzt steht uns nichts mehr im Wege«, sagte Taufiq, und Nassri sah den teuflischen Glanz in seinen Augen.
Eine Woche später erhielt Nassri eine persönliche Einladung des Präsidenten zum Abendessen. Ein Chauffeur holte ihn ab und brachte ihn in den Präsidentenpalast. Der Abend gefiel dem Präsidenten so sehr, dass er von da an einmal in der Woche mit Nassri und ein paar auserwählten Händlern der Stadt dinieren wollte.
Freundschaften waren in diesen Kreisen so gut wie unmöglich, aber Nassri genoss durch seinen Witz und seine Furchtlosigkeit bald eine besondere Nähe zum Präsidenten. Er entdeckte hinter der steifen Uniform einen einsamen Mann, der seit seiner Jugend keinen Tag genossen, seine Zeit vielmehr mit Verschwörungen und Gegenverschwörungen verdorben hatte.
Nassri fand die anderen Händler heuchlerisch, die mit dem Diktator jede Woche denselben Film ansahen, nur um danach hinter vorgehaltener Hand über ihn zu lachen. Präsident Schischakli verehrte Hitler und wollte ihn nachahmen. Er war beeindruckt von Leni Riefenstahls Film »Triumph des Willens«, den er sich jede Woche einmal im Filmsaal des Präsidentenpalasts ansah.
Nassri mochte weder die Deutschen noch den Krieg. Er entschuldigte sich jedes Mal und verließ den Palast. Das brachte ihm den Respekt des Bauernsohns Schischakli ein, weil der in Nassri einen kultivierten und freien Menschen erkannte, der genau hinhörte und bei aller Höflichkeit seine eigene Meinung sagte.
Drei Wochen später war die Ladung von drei vollen Lastwagen bereits zollfrei angekommen. Teigknete- und Portioniermaschinen für Bäckereien sowie Bohrmaschinen und Drehbänke für Metall- und Autowerkstätten, die ersten Importe aus Ungarn. Er habe die Generalvertretungen der Maschinenfabrik in Syrien erworben, um ein zweites Standbein für die Firma zu sichern, erklärte Taufiq.
»Zweites, sagst du? Ich habe den Eindruck, du hast unsere Firma zu einem Tausendfüßler gemacht«, erwiderte Nassri und beide Männer lachten.
An diesem Tag brachte Nassri der Hure Asmahan ein teures Parfum mit. Als er ihre Wohnung betrat, sah er, dass sie am Wohnzimmertisch mit dem Ausschneiden eines schönen Spruchs aus einer Zeitschrift beschäftigt war. Asmahan bedankte sich für das Parfum und erzählte ihm, während sie weiter mit großer Sorgfalt den Spruch ausschnitt und einrahmte, dass sie seit ihrer Kindheit eine Schwäche für Kalligraphie habe. Kalligraphie sei die Fotografie der Wörter, sagte sie, und sie liebe Wörter mehr als alle Männer der Welt.
Erst jetzt fiel Nassri auf, dass die Wände in Schlaf- und Wohnzimmer, Küche und Bad mit gerahmten Sprüchen bedeckt waren. Er war beschämt über seine Blindheit, aber er wusste nun, wie er Asmahan gefügig machen konnte.
Als sie sich zurückzog, um sich für ihn schön zu machen, schrieb er den Spruch ab, den sie gerade ausgeschnitten hatte: Das Vernünftige an der Liebe ist ihre Verrücktheit.
An diesem Tag dachte er zum wiederholten Mal, dass er die Hure heiraten und auf Clan und Ruf hätte pfeifen sollen. Sie war klug wie seine Frau Lamia, konnte bezaubernd lachen und witzig sein wie seine Frau Nasime und hatte dazu den betörenden Körper seiner Frau Saide. Und sie war – anders als alle seine Frauen – dankbar. Sicher, sie verlangte Geld für ihre Mühe im Bett, doch seine Frauen nahmen das Doppelte, nur auf anderen Wegen – das hatte er berechnet. Aber keine war so dankbar, wenn er ihr ein Geschenk brachte. Asmahan freute sich manchmal tagelang über eine Flasche Parfum oder eine teure französische Modezeitschrift aus der Buchhandlung »Librairie universelle«.
Doch als er in diesen sehnsuchtvollen Gedanken versinken wollte, weckte ihn wie immer eine innere Stimme, die sich wie die seines Vaters anhörte: »Und glaubst du Trottel, dass du ihr genügst? So ein Weib hat Sex für sieben Männer, und was soll sie machen mit dem, was übrig bleibt, wenn
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