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Das Geheimnis Des Kalligraphen

Das Geheimnis Des Kalligraphen

Titel: Das Geheimnis Des Kalligraphen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rafik Schami
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du ausgelaugt neben ihr schnarchst? Sie wird einenzweiten, einen dritten, einen vierten Mann aufsuchen, so dass du bald siebenstöckige Hörner trägst, mit denen du durch keine Tür passt ... «
    Nassri schüttelte niedergeschlagen den Kopf, als Asmahan in einem dünnen Seidenumhang ins Zimmer zurückkehrte. Ihre blonden Haare hatte sie zu einer Pyramide aufgesteckt und mit Strass und Federn geschmückt. Sie war die schönste Hure von Damaskus, und nur ihr hoher Preis hielt die Männer davor zurück, vor ihrer Tür Schlange zu stehen. Pro Beischlaf verlangte sie hundert Lira, das war der Wochenlohn von Taufiq.
    Nur Parlamentarier, Minister, Großgrundbesitzer, Generäle und reiche Händler konnten sich dieses Vergnügen leisten.
    An diesem Tag wollte Nassri nach dem kurzen Liebesspiel aus Frust und ein wenig Scham wissen, der Wievielte er jetzt am Mittag war.
    »Der dritte«, sagte sie seelenruhig und zog ihre Unterwäsche an.
    »Und nun hast du genug«, fragte er, in der Hoffnung, sie würde nach dem Beischlaf mit ihm »Oh ja« sagen. Asmahan lachte nur hell auf, gab aber keine Antwort.
    »Beeil dich, bald kommt der Parlamentspräsident! Der will mich als arglose Studentin verführen. Du weißt, er ist Professor ... «
    »Und danach?«
    »Nun beeil dich doch. Danach kommen noch drei oder vier, vielleicht auch fünf, das kommt auf die Eifersucht der jeweiligen Ehefrau an«, sagte sie und schob ihn lachend, aber energisch zur Tür.
    Eigenartig war diese Frau, die – als wäre sie keine Araberin – kein Schamgefühl, sondern eine nüchterne, genaue Vorstellung von ihrer Tätigkeit hatte. »Hurerei ist ein uralter Beruf«, sagte sie ihm eines Tages, »manche verkaufen die Kraft und Arbeit ihrer Hände, ihrer Augen, ihres Rückens und ich verkaufe die Arbeit meiner Vagina.« So konnte man es natürlich auch sehen. Nassri gefiel das nicht. Sie fügte hinzu: »Nehmen wir an, eine schöne und kluge Frau sei reif für die Ehe, welchen Mann wählen die Eltern unter hundert Bewerbern wohl aus? Sie werden weder den Sensibelsten noch den Wortgewandtesten noch den Klügsten geschweige denn den Ehrlichsten aussuchen, sondern den Reichsten und Mächtigsten, und das ist nichts anderes als Kauf und Verkauf. Schöne und gesunde Frauen gegen Macht undSicherheit für sie und ihre Familie. Aber ich sehe, du verstehst mich nicht.«
    Nassri war verwirrt, die Frau sprach arabisch, aber er war eine solche Sprache nicht gewöhnt.
     
    Diesmal ging Nassri erst am Nachmittag zum Kalligraphen, in der Hoffnung, bis dahin hätte der seinen Mundgeruch abgelegt, und in der Tat roch der Atem des Mannes an diesem Tag nach Orange und Koriander.
    »Hat auch die letzte Kalligraphie dem Präsidenten gefallen?«, fragte er nach der Erwiderung des Grußes.
    »Ja, sehr. Wie sollte sie nicht gefallen, wenn sie aus Ihrer Feder stammt?«, sagte Nassri und richtete seine Augen auf das scharfe Messer, mit dem der Kalligraph die Spitze der Rohrfeder schnitt.
    »Ich bin gleich fertig, nehmen Sie Platz, bitte«, sagte er und zeigte auf einen eleganten Stuhl. Ein Geselle trat zu ihm und fragte leise nach Blattgold. Der Kalligraph stand auf und holte aus einem Schrank hinter sich ein dickes Heft. »Es sind noch siebzig Blätter, wenn du fertig bist, trägst du die Zahl der herausgenommenen Blätter mit Datum in die Liste ein, die du am Heftende findest, und achte auf die winzigen Reste. Es ist Gold, verstanden?«, sagte er leise und streng zu dem bereits älteren Gesellen, dem diese Anweisung vor dem Kunden peinlich war. »Ja, mein Herr, ich achte immer darauf.«
    »Schicke mir Jusuf, er soll uns zwei Mokka holen«, fügte Hamid Farsi hinzu.
    Ein kleiner Junge kam aus der Werkstatt und fragte Nassri höflich, wie er seinen Kaffee wünsche. »Mit viel Zucker und wenig Kardamom.« Der stark schielende Junge machte sich auf den Weg zum Karam-Café am Ende der Straße.
    Nassri schaute ihm nach und wunderte sich über seine sauberen Kleider. Alle im Laden schienen auf Anweisung einen Strich eleganter zu sein als die Mitarbeiter in den benachbarten Läden. »Schmuddeligkeit und Kalligraphie vertragen sich nicht«, erwiderte Hamid Farsi knapp auf das Kompliment seines Kunden.
     
    »Heute habe ich eine ausgefallene Bitte«, Nassri rückte seinen Stuhl näher zum Tisch des Meisters, nachdem er seinen Mokka getrunken hatte. »Es ist sehr intim, für eine Frau, verstehen Sie?«, sagte er flüsternd. »Natürlich nicht meine. Wer schreibt schon seiner Frau

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