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Das Geheimnis Des Kalligraphen

Das Geheimnis Des Kalligraphen

Titel: Das Geheimnis Des Kalligraphen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rafik Schami
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Pferde und Jungen mehr liebe als Frauen, was die Frauen nicht glauben wollten.
    Nuras Vater ließ der Sänger kalt, ihre Mutter hasste ihn, weil er Frauen mit seinen Liedern verführte. »Er ist Druse, und was soll einer schon sein, dessen Mutter für Geld Laute gespielt hat? Hast du gehört, wie seine Schwester endete? Sie ertrank im Nil. Sie war die schönste Frau der arabischen Welt, und statt einen König zu heiraten, sang sie in Nachtlokalen und wurde von ihrem Liebhaber, einem eifersüchtigen Engländer, erwürgt und in den Nil geworfen.«
    Dalia, die Schneiderin, vergötterte Farid al Atrasch. Sie sang nicht nur gerne seine Lieder, sondern sah alle seine Filme im Roxy-Kino. Manche Filme, wie »Ahlam al Schabab« , Träume der Jugend, und »Schahr al Asal« , Flitterwochen, hatte sie schon mehr als zehnmal gesehen. Die Wand über ihrem Arbeitsplatz war mit einem großen Plakat des Filmes »Makdarschi«, Ich kann nicht, geschmückt. Farid al Atrasch schien genau das zum Betrachter zu sagen, während ihn seinePartnerin, die berühmte Tänzerin Tahija Karioka, eifersüchtig beobachtete. Und immer wenn Kundinnen zur Eile drängten, zeigte Dalia nur stumm mit dem Zeigefinger auf das Plakat und arbeitete weiter.
    Eines Tages, Nura war bereits länger als ein Jahr bei Dalia in der Lehre, sprachen die Mitarbeiterinnen aufgeregt davon, dass in ein paar Wochen der neueste Film, »Achir Kisbeh«, Letzte Lüge, im Roxy anlaufe und dass Farid al Atrasch, der seit seiner Kindheit in Kairo lebte, bei der Premiere anwesend sein würde.
    Woher Dalia die fünf Ehrenkarten hatte, verriet sie niemandem. Jedenfalls gingen alle Mitarbeiterinnen mit ihr ins Kino.
    Neunzig Prozent der Besucher waren Frauen, die, wie die Meisterin prophezeit hatte, in den teuersten modischen Kleidern gekommen waren, um dem ewig ledigen Sänger zu gefallen. Als er erschien, ging ein schmachtendes Raunen durch den Saal.
    Der Sänger war kleiner, als man vom Plakat her vermutete. Sein Gesicht war blass und glatt. Er trug auch nicht den damals üblichen Schnurrbart. Nura wurde rot und spürte, dass ihr Herz in die Tiefe stürzte, als der Sänger sie mit seinen großen traurigen Augen einen Moment lang fixierte. Sie verliebte sich auf der Stelle unsterblich in ihn. Von der Filmhandlung bekam sie nichts mit. Aber als Farid sang, hatte sie das Gefühl, er singe nicht für Samia Gamal, seine Geliebte im Film, sondern nur für sie. Sie weinte und lachte, und dann kam diese kurze Begegnung, die ihr in jener Nacht den Schlaf rauben sollte.
    Als die Zuschauer hinausgingen, stand der Sänger flankiert von den wichtigen Persönlichkeiten der Stadt, die sich gerne mit ihm fotografieren ließen, am Eingang und verteilte sein signiertes Porträt. Und die Damaszener Frauen, die niemals eine Schlange bildeten und sich bei jedem Gemüseverkäufer die Augen auskratzten, wenn sie es eilig hatten, standen nun wie Klosterschülerinnen brav und artig da, weil sie dem Sänger gefallen wollten. Sie nahmen das Bild aus seiner Hand entgegen und gingen geordneten Schrittes hinaus. Dalia stand hinter Nura und flüsterte ihr zu: »Jetzt oder nie«, aber Nura war viel zu aufgeregt in ihrem geliehenen teuren Kleid, das einer Braut gehörte.
    Als sie an der Reihe war, gab ihr der Sänger sein Porträt, lächelte sie kurz an und berührte ihre Finger. Sie war einer Ohnmacht nahe.
    Ganz anders Dalia. Sie fasste sich ein Herz, packte die Gelegenheit beim Schopf und gab dem verdutzten Sänger einen schallenden Kuss auf die Wange.
    »Ich, Dalia, die kleine Schneiderin und dreifache Witwe, habe Farid al Atrasch geküsst. Ab jetzt kann ich sterben und Gott kann mich ruhig in die Hölle schicken«, triumphierte sie in der Kutsche auf dem Weg nach Hause. Ihre Mitarbeiterinnen kicherten.
    Als Nura am nächsten Tag mittags nach Hause kam, fand sie das Bild unter ihrem Kopfkissen in tausend Stücke zerfetzt.
    Sie erstarrte. Und dann fühlte sie, wie ihr die Wut fast den Atem nahm. Immer stärker wurde in ihr der Wunsch, das Elternhaus zu verlassen. Sie wollte bald heiraten, um ihre Mutter loszuwerden.
    Dalia entging nichts. »Ach, Kindchen, spar dir deine Tränen, hier hast du ein neues Foto«, sagte sie und gab ihr das Bild. »Ich habe genug davon. Ist er nicht süß? Und erst sein Geruch!«
    Nura versteckte das Foto zu Hause unter einem losen Brett in ihrem Kleiderschrank, vergaß es aber bald.
    Erst nach ihrer Flucht erinnerte sie sich wieder daran und fragte sich, ob jemand in einem kommenden

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