Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Geheimnis Des Kalligraphen

Das Geheimnis Des Kalligraphen

Titel: Das Geheimnis Des Kalligraphen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rafik Schami
Vom Netzwerk:
wurden in den Jahren des Aufstandes enttarnt, hingerichtet und mit einem Blatt Papier auf der Brust neben den Stacheldraht gelegt. »Schönen Gruß an Sarai« stand darauf. General Sarai war der Chef der französischen Truppen in Syrien.
    Eines kalten Januartages im Jahr 1926 – das Land war seit dem Ausbruch des großen Aufstands gegen die Franzosen im Sommer 1925 in Aufruhr – kam ein junger Mann aus Aleppo zu uns. Er wollte lernen, wie die Leute im Midan-Viertel den Widerstand gegen die Franzosen organisierten. Er hieß Salah und konnte wunderschön Gedichte vortragen.
    Als er mich sah, wollte er mich auf der Stelle heiraten, und mein Vater stimmte sofort zu. Der Mann war aus einer angesehenen Familie und ziemlich vermögend. Aus der Sicht meines Vaters war es mehr als vernünftig, einem Verehrer des Midan-Viertels eine Tochter ebendieses Viertels zur Frau zu geben. Man hat mich nicht gefragt. Ich war ein junges Ding von sechzehn Jahren und mich machten die Blicke des Mannes schwach. Er hatte schöne Augen und langes lockiges Haar.«
    Dalia goss Arrak in ihr Glas, gab Wasser dazu und nahm einen kräftigen Schluck. »Salah war den ganzen Hochzeitsabend lang charmant zu mir. Und während die Gäste sangen und tanzten, sagte er mir ein Liebesgedicht nach dem anderen auf. Ich war verliebt in ihn. Nach der Feier gingen wir in das große Schlafzimmer. Er schloss die Tür hinter sich und lächelte mich an. Ich fühlte eine Atemnot, als hätte er mit dem Schließen der Tür einen Sack um meinen Kopf geschnürt.
    Ich versuchte mich an die Ratschläge meiner Mutter zu erinnern: ein wenig Widerstand leisten. Ich zitterte am ganzen Leib vor Unsicherheit: Wie spielte man ein bisschen Widerstand? Er knöpfte mein Kleid auf. Ich war einer Ohnmacht nahe. »Willst du einen Schluck Arrak?«, fragte er. Die Flasche war dezent in einem mit Eissplitter gefüllten Kübel ins Zimmer gestellt worden. Ich nickte. Alkohol macht Mut, dachte ich. Meine Mutter hatte mir gesagt, er belebe auch die eigene Lust, so dass man selbst etwas von der ersten Nacht habe. Salah nahm einen kleinen Schluck. Ich kippte das ganze Glas in mich hinein und fühlte, wie der Schnaps in meinem glühend heißen Inneren zischte. Seine Hände suchten eilig den Eingang zu mir und knöpften zugleich den eigenen Hosenschlitz auf.
    Wenn er meine Brüste berühre, hatte mir meine Mutter als Tipp für die Hochzeitsnacht gegeben, sollte ich stöhnen, damit er fortfahre, und dort, wo es mir nicht gefalle, sollte ich steif wie ein Stück Holz werden.
    Ich wurde aber sofort, als Salah mich mit der Hand zwischen den Beinen berührte, von Kopf bis Fuß steif wie ein Floß, das fort will, aber irgendwo festhängt. Alles in mir war tot. Er entkleidete sich vollständig und dann sah ich sein Ding: klein und krumm. Ich konnte mein Lachen nicht unterdrücken. Er gab mir die erste Ohrfeige, weil sein Ding nicht reagierte. Er schob meine Beine noch weiter auseinander, als wäre er ein Elefant. Ich sah ihn an, nackt zwischen meinen Beinen: Gott, ist er hässlich! dachte ich. Meine Lust hatte sich durch das offene Fenster verflüchtigt. Er schwitzte und roch merkwürdig fremd, nicht streng, aber fremd, fast wie frisch geschnittene Gurken.
    Er bemühte sich in den nächsten Stunden rücksichtsvoll, sein halbschlaffes Ding in mich hineinzupressen. Und am Ende erbrachte eher sein Finger den Beweis meiner Jungfräulichkeit, der Eltern und Verwandte draußen erleichtert jubeln ließ.
    Drei Wochen später wurde Salah bei einer Kontrolle gestoppt. Er versuchte zu fliehen, da er Waffen transportierte. Er wurde erschossen. Das ganze Viertel lief hinter seinem Sarg her, und alle schworen Rache gegen Sarai und die Franzosen. Gestandene Männer weinten wie verwaiste Kinder. Ich würde lügen, wenn ich sage, ich trauerte. Er war mir in den drei Wochen fremd geblieben. Zwiebeln halfen mir damals. Ich glaube, Gott hat die Zwiebel erschaffen, um den Witwen zu helfen, ihr Gesicht zu retten. So auch bei mir. Die Verwandten beruhigten mich und hatten Sorge um meine Gesundheit. Ich kam mir wie ein Monster vor, aber mein Herz blieb stumm.«
     
    Nura war schon immer etwas weitsichtig gewesen, so dass es ihr bald schwerfiel, den Faden durch das Nadelöhr zu bringen. Also erhielt sie eine Brille. Es war die billigste und hässlichste, die ihr angeboten wurde, aber die Mutter wollte es so. Weil sie niemanden verführen solle, lautete ihre Erklärung. Nura schämte sich, die Brille auf der Straße oder im Haus

Weitere Kostenlose Bücher