Das Geheimnis Des Kalligraphen
die kochen auch nur mit Wasser. Und was kosten ihn Tinte und Papier? Eine Lira! Und wir hier? Ich verdiene nicht in einer Woche so viel und muss dafür auch noch die Fürze und die Spucke, den Mundgeruch und den Schweiß meiner Kunden ertragen. Seine Kundschaft verbeugt sich vor Dankbarkeit. Unsere meldet sich nur, wenn sie sich beschweren will.«
»Aber du weißt doch, ich hasse Schule und Bücher«, versuchte Salman mit einer kleinen Lüge ein Rettungsfloß zu bauen.
»Alter Gauner, willst du Karam reinlegen? Durch Sarah bist du so weit wie die meisten Abiturienten nicht. Und –« Karam beugte sich zu Salman und sprach verschwörerisch leise – »du musst dem Meister verheimlichen, was du alles kannst. Du kannst ruhig sagen, du warst nur bis zur zweiten Klasse in der Schule und hast kein Interesse an Büchern. Und dann kannst du seine Kunst heimlich lernen. Kalligraphen hüten eifersüchtig ihre Geheimnisse. Du musst also dieses goldene Handwerk heimlich lernen. Und sollte er dich rausschmeißen, kehrst du zu mir zurück.«
Salman atmete erleichtert auf. »Und darf ich dich besuchen?«, fragte er.
»Bist du nun dumm geworden, oder was? Du kommst jeden Mittag hierher zum Essen und einmal die Woche zu mir nach Hause, um die Kalligraphie zu üben. In deiner Behausung kann kein Mensch etwas werden. Ich richte dir eine kleine Kammer ein. Aber zu den andern kein Wort davon! Sie gönnen dir nichts. Haben wir uns verstanden?«
Er nickte stumm.
Salman musste Karam, wenn er zurückdachte, recht geben. Außer Sarahs Unterricht und dem bisschen Trinkgeld, mit dem er seiner Mutter eine Freude machte, war die Zeit im Café, anders als er am Anfang gehofft hatte, öde. Seine Gedanken wanderten zu den dunklen Verstecken seiner Erinnerung. Drei Mal hatte ein Kunde, ein reicher Makler, der allein lebte, versucht, ihn ins Bett zu kriegen. Täglich bestellte er Kleinigkeiten und fasste Salman jedes Mal an, dabei glühten seine Augen vor Sehnsucht. Er flehte Salman an zu bleiben, er wolle ihm nur ein wenig den Hintern streicheln. Salman bekam Angst und bat Karam um Hilfe. Dieser lächelte vielsagend und schickte von nun an Darwisch, der sich fürs Stillhalten ein paar Lira verdiente, zu dem schwulen Makler.
Auch Nadia tauchte in seinen Erinnerungen auf, Nadia, die zwanzigjährige hübsche Tochter des Teppichhändlers Mahmud Bustani. Ihre Eltern besaßen ein schönes Haus auf der Rosengasse, die im Zentrum des Suk-Saruja-Viertels lag. Ihr Vater kam täglich um drei und rauchte seine Wasserpfeife, bevor er ins Geschäft ging. Nadia war nach einjähriger Ehe mit einem jordanischen Prinzen geschieden worden. Sie machte Salman schöne Augen, bis er sich tatsächlich in sie verliebte, und sie fing ihn immer wieder ab, wenn er Bestellungen für ihre Eltern oder die Nachbarschaft erledigte. Wo er wohne, wollte sie wissen, er log und nannte Bab Tuma, das Zentrum des christlichen Viertels, und als sie ihn fragte, ob er wegen der Liebe zum Islam übertreten würde, antwortete er übermutig, er würde dafür Jude und sogar Buddhist, wenn ihr der Islam nicht genüge. Und immer wenn sie ihn neugierig nach seinem Haus fragte, antwortete er knapp, so dass er seine Armut verstecken konnte. Die Schönheit der Häuser im vornehmen Suk-Saruja-Viertel lähmte seine Ehrlichkeit. Wie sollte er Nadia oder einem anderen dieser reichen Kunden erzählen, in welcher elenden Behausung er nachts schlief? Hier gab es Häuser mit Innenhöfen, die raffinierte Architekten nach den Bildern des Paradieses entworfen hatten. Karam übertrieb nicht, wenn er sagte, die Damaszener Reichen würden einmal vom Paradies enttäuscht sein und beleidigt ausrufen: »In Damaskus hatten wir es besser. All die Frömmigkeit und all das Fasten waren umsonst.« Salman war derselben Ansicht. Das Paradieswurde wohl für die armen Leute gemacht, und wenn es dort ein solide Behausung und genug zu Essen gäbe, wären sie alle zufrieden.
Nadia beschwerte sich oft, dass er nur stumm dastehe und sie anhimmle, sie wünschte sich etwas Schönes von ihm zu hören. Da ihm nichts einfiel, bat er Sarah um Hilfe, und sie diktierte ihm die Übersetzung eines feurigen französischen Liebesgedichts.
Aber er hatte Pech, Nadia wollte das Blatt nicht einmal anfassen. Sie habe von einer Freundin erfahren, dass er in einem Rattenloch lebe, und sie sei dort gewesen und habe sich davon überzeugt. »Ein Hof der Bettler! Und dann besitzt du auch noch die Frechheit, mich zu belügen. Du liebst mich
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